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Der unmögliche Berg

Peter Meier-Hüsing

Der unmögliche Berg

Cerro Torre und der Mythos Patagonien

2006, Malik, ISBN 3-89029-288-7, 281 Seiten

Verlagsinformation:

Gestützt auf Recherchen vor Ort, auf neue Interviews mit Cesare Maestri, mit dessen Freunden, Seilpartnern und Kritikern rekapituliert der Autor die aufregende Geschichte der Erstbesteigung des Cerro Torre.

Er ist nur ein Dreitausender und doch einer der mächtigsten Berge der Welt: der Cerro Torre. Stolz ragt die Granitnadel in den ozeanblauen Himmel der Anden, umgeben vom blendenden Weiß der Gletscher – mit dem Fitz Roy bildet der Cerro Torre für Kletterer den magischen Anziehungspunkt Patagoniens. Sein Name ist schicksalhaft verbunden mit Cesare Maestri, der heute zurückgezogen in Madonna di Campiglio lebt und noch immer die erste geglückte Besteigung des Cerro Torre für sich reklamiert. Mit seinem Seilgefährten Toni Egger will er 1959 den Gipfel erreicht haben, beim Abstieg aber begrub der »unmögliche Berg« Egger unter einer Lawine. Maestri konnte gerettet werden, sein Partner blieb verschollen und mit ihm die Fotos und unwiderlegbaren Beweise für den Triumph. Schon bald wurden Zweifel an Maestris tragischem Sieg laut. Und so mußte er zurückkehren und sich erneut seinem größten Gegner stellen.


Kommentar:

Beklemmendes Psychogramm eines unmöglichen Menschen

Werner Herzog, Regisseur des Films "Schrei aus Stein", den er 1991 am Cerro Torre drehte, sagte einst über den Cerro Torre: "Der Cerro Torre hat Eigenschaften, wie sonst nur Menschen haben; er hat etwas Böses, etwas Mysteriöses, etwas Schreckenerregendes". Tatsächlich wurde kein anderer Berg der Erde mit solch extremen Attributen wie "der schwierigste Berg", "der unmögliche Berg", der "wunderbare Berg am Ende der Welt" oder "schönste" bedacht. Extrem ist der Berg in jeder Hinsicht und mysteriös seine Geschichte. Maßgeblich an seinem Mythos beteiligt Cesare Maestri, der sich kaum wie je ein Mensch mit einem einzigen Berg identifiziert, ja sich mit ihm ein Duell auf Leben und Tod geliefert hat. Maestri war einst bereit, für den Berg seiner Träume alles zu geben und zu riskieren, heute wünscht er, dass der Torre "zu Staub zerfallen möge, und er würde noch auf ihn spucken".

Es begann damit, dass er zusammen mit dem Österreicher Toni Egger im Februar 1959 den Gipfel erreicht. Im Abstieg wird Egger von einer Lawine in die Tiefe gerissen - und mit ihm die Fotokamera mit den Beweisen der Gipfelbesteigung. Maestri überlebt mehr tot als lebendig, mehr verrückt als bei Sinnen, und erklärt: Ja, sie waren oben! Im Laufe der Jahre jedoch und nach vielen weiteren gescheiterten Expeditionen zum Cerro Torre, mehren sich die Gerüchte, dass Maestri und Egger gar nicht am Gipfel gewesen seien. War die "größte Leistung des Alpinismus" in Wahrheit ihr größter Betrug? Die Gerüchte und Anklagen verstummen nie wieder, nichts und niemand kann Maestri rehabilitieren: nicht sein Freund Cesarino Fava, der Ideengeber der Torre-Expeditionen, und nicht einmal seine zweite Torre-Besteigung 1970 über die heute "Kompressor-Route". Maestri ist und bleibt bis heute ein Gefangener eines Berges, ein Besessener, ein alpiner Don Quijote, der zusammen mit Sancho Panza, seinem Freund Fava, gegen eine Windmühle namens Cerro Torre kämpft. Und Maestri selbst unterstreicht diese Besessenheit in einem Brief, den er vor dem vermeintlichen Gipfelgang schreibt: "Wenn ich nicht wiederkehre, so sagt den Leuten, dass ich dort oben auf dem Torre den 'Sinn meines Lebens' gesucht habe."
Und genau dieses tragische Psychogramm eines süchtigen, eines besessenen Menschen, der nur ein Lebensziel verfolgt, nämlich auf dem Gipfel eines Berges zu stehen, zeichnet Autor Meier-Hüsing in beklemmender, realistischer, auf jeden Fall in bravouröser Weise. Maestri sei seelisch an diesem Berg zerbrochen, "der 'Anarchist am Berg', der für sich die größtmögliche Freiheit proklamierte und sie jedem anderen ebenso zusprechen wollte, ist ein Unfreier geworden, ein Gefangener des eigenen Tuns und des eigenen Mythos", resümiert Meier-Hüsing. Mit "Der unmögliche Berg" bezweckt Meier-Hüsing nach eigenen Angaben zweierlei: einmal die Geschichte von Cesare Maestri und seinem Schicksalsberg zu erzählen, zum zweiten die Protagonisten selbst zu Wort kommen lassen, die Kletterer von damals und heute, die Kritiker und die "Gläubigen". Und es gelingt Hüsing famos: In spannungsgeladenem Stil liefert er eine ungemein packende Studie eines Besessenen, der sich einem einzigen Lebensziel verschreibt und daran zerbricht. Es gelingt Meier-Hüsing aber auch die genaue Zeichnung einer Kletterseele, ja der Seele der damaligen Bergsteigerszene, die sich bis auf die Knochen bekämpft, einander zu übertrumpfen und zu verdrängen versucht, sich nichts schenkt, nichts vergibt. Und es gelingt ihm all das, ohne selbst Stellung zu beziehen - was vielleicht das wichtigste Qualitätsmerkmal dieses Buches ist.
So atemlos, wie Maestris Leben ablief, so atemlos schreibt Hüsling und so atemlos liest man diese Biografie. Insofern könnte man das Buch ruhig auch "Der unmögliche Mensch. Cesare Maestri und der Mythos Cerro Torre" nennen - es träfe den Gehalt der Biografie vielleicht noch besser.
Endlich wieder alpine Lektüre, die sich an einem Nachmittag in einem Zug verschlingen lässt.


Zum Autor:

Peter Meier-Hüsing, geboren 1958, studierte Religionswissenschaften und arbeitet seit fast 20 Jahren mit Leidenschaft als Reporter, Autor und Redakteur für den Hörfunk und verschiedene Zeitschriften. Der begeisterte Bergsteiger, Skifahrer und Fotograf lebt mit seiner Familie bei Bremen. Von ihm erschienen: "Wo die Schneelöwen tanzen" und "Der unmögliche Berg".