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Annapurna

Jean-Christophe Lafaille

Gefangener der Annapurna

Auf dem Grat zwischen Leben und Tod

2005, Frederking & Thaler (National Geografic)
ISBN 3-89405-262-7, 192 Seiten

Verlagsinformation:

Der gewaltige Annapurna ist ebenso faszinierend wie gefährlich, innerhalb einer Sekunde kann das Schicksal über Leben und Tod entscheiden. Jean-Christophe Lafaille, der als leistungsfähigster französischer Alpinist gilt, hat dies bei seiner Besteigung 1992 erlebt: Beim Aufstieg löste sich ein Haken, sein Seilkamerad Pierre Béghin stürzte in die Tiefe und war tot. Lafaille, selbst am Arm verletzt, brauchte fünf Tage, um den Berg ohne Seil und Haken hinunterzusteigen. "Ich brauchte Jahre, um über dieses Drama sprechen zu können. Seitdem ist die Angst vor dem Sturz immer gegenwärtig..." 2002, nach zahlreichen Exkursionen, steht der Gebirgssprinter - die Geschwindigkeit, mit der er sich in die Höhe bewegt, ist sein Kennzeichen - doch auf dem Gipfel des Annapurna. Heute fehlen Lafaille nur noch zwei Achttausender, um sein Ziel zu erreichen, zu der kleinen Gruppe der Bergsteiger zu zählen, die alle vierzehn Gipfel erfolgreich bezwungen haben.
In seiner Karriere als Bergsteiger ging es Lafaille aber nie darum, mit sportlichem Ehrgeiz einen Gipfelrekord an den nächsten zu reihen, vielmehr folgt er bei jeder Besteigung eines Achttausenders seinen eigenen Prinzipien: so ist er stets ohne künstlichen Sauerstoff unterwegs, ist ein Anhänger des Alpinstils und bewegt sich im ständigen Bewusstsein um die Macht der Natur.


Kommentar:

Glücklicher Sisyphos

"Ich würde zehn Achttausender für nur zehn Minuten auf der Annapurna geben!", gesteht Jean-Christophe Lafaille in diesen packend geschriebenen Erinnerungen. Was Lafaille als Bergsteiger sympathisch macht, dass er stets im fairen Alpinstil unterwegs ist und die Macht der Natur kompromisslos anerkennt. Gleichzeitig kennzeichnen ihn ein unbändiger Wille und die Überzeugung, selbst schwierigste Situationen meistern zu können, aber auch die Vernunft im richtigen Moment aufzugeben. Auf eben diese Gratwanderung zwischen dem Glauben, die Natur bezwingen zu können, und dem Gefühl des Ausgeliefertseins an die natürliche Urkraft, nimmt Lafaille den Leser mit. Vor allem der Umgang mit dem Scheitern und dem Tod lässt Lafaille - auch als Alpinist - über sich hinauswachsen, wie etwa beim zweiten Annapurna-Versuch: "Fast drei Jahre minutiöser Vorbereitung, und dann das! Drei Jahre mühsamer Rekonvaleszenz, um mich einmal mehr geschlagen zu geben! Am Morgen des 20. gehe ich unter Aufbietung der letzten Kräfte noch einmal zum Angriff über, lasse den Bergschrund hinter mir - und stehe erneut hüfttief im Schnee! Die Vernunft gebietet mir, die Sache zu beenden." Es wundert nicht, dass sich Lafaille - Camus zitierend - als "glücklichen Sisyphos" sieht: "Der Kampf gegen Gipfel vermag ein Menschenherz auszufüllen. Wir müssen uns Sisyphos als einen glücklichen Menschen vorstellen." Wieder und wieder läuft er gegen die schwierigsten Probleme der Berge an.

Und auch als Autor weckt er Sympathien, zumal er den Mut hat, offen seine Fehler einzugestehen und manch tiefen Blick in die turbulente Gefühlswelt eines Spitzenbergsteigers zu gewähren. Die Erinnerungen an seinen "Schicksalsberg" sind kein arrogantes und schwer verdauliches Heldenepos, wie man es heute von Extremalpinisten so gern vorgesetzt bekommt, sondern das aufrichtige Zeugnis eines ehrlichen und bescheidenen Menschen, der sehr wohl mit sich hadern kann und eingestehen, dass der Berg nun mal stärker ist als er. Zu denken gibt dem Leser allerdings die Grenze des Risikos, die Lafaille stets bewusst überschreitet und erweitert. Aber genau das dürfte zu seinem Selbstverständnis als Künstler passen: "Die erstmalige Begehung einer Route ist meinem Verständnis nach ein künstlerischer Vorgang. Ich sehe darin etwas Schöpferisches. Jede Bewegung, Meter für Meter, gleicht einem Pinselstrich, bis das endgültige Werk entsteht. ... Die Farben ergeben sich für mich aus erlebten Momenten, Ängsten und Freuden, die ich in meinem Inneren speichere und aus denen ein unendlich persönliches Werk entsteht. Ich wüsste kein schöneres und intimeres Ausdrucksfeld als die Berge."

So ist auch dieses Buch ein kleines Kunstwerk.


Zum Autor:

Jean-Christophe Lafaille wurde 1965 in Frankreich geboren. Er ist verheiratet, hat drei Kinder und lebt mit seiner Familie in der Nähe von Chamonix. In den Sommermonaten ist er als gefragter Bergführer und Motivationstrainer tätig oder hält fesselnde Vorträge über seine Expeditionen.