Kommentar + Leseproben:
"La vie est belle", das Leben ist schön!
Dieses Buch tut richtig gut – und es ist gut. Denn Seite um Seite lenkt es aufs Neue weg vom Alltag in ferne Traumwelten und zu einem erfrischend anderen Lebenskonzept. Genau die richtige Lektüre also für Fernwehkranke – oder auch nicht, denn es verschärft das Fernweh gewaltig.
In erfreulich ungekünstelter und ungeschminkter Sprache erzählt "Weltenwanderer" Gregor Sieböck von seinen langen Wanderungen, von den vielen (Um-)Wegen, Ver(w)irrungen und Pilgerfahrten. Und er ist dabei selten alleine, immer wieder kommt es zu Begegnungen, Gesprächen und Kontakten zu Einheimischen – die Botschaft dahinter: Wir sind EINE Welt, EINE Menschheit, wir ziehen alle an EINEM Strang. Sieböck zeichnet sich durch Weltoffenheit, Toleranz und Weltenbürgertum aus – ein dringend notwendiger, wohltuender Widerspruch zum heute aufkeimenden Rassismus und Nationalismus:
"Dinge zu verbinden und die Trennung zu überwinden, finde ich immer wieder spannend. Täglich versuchte ich auf meiner Weltenwanderung, von anderen Menschen und Kulturen zu lernen und diese Erfahrungen in mein Leben einfließen zu lassen. Dabei war es immer wieder eine Quelle der Freude, wenn es mir gelang, Vorurteile abzubauen, und ich feststellte, dass es tief in meinem Herzen eine Verbindung gibt, die äußerstes Erscheinen und Verhalten transzendiert. Nur wenn wir Mut haben, einander zu begegnen, können wir wachsen. Wenn wir uns bewusst auf das scheinbar Fremde und Unbekannte einlassen und die Unterschiede als eine Chance zu Veränderung sehen, eröffnen sich neue Welten."
Sieböck geht und bleibt, wo es ihm gefällt und er erlebt Landschaften, die wir aus Dokus oder von eigenen Reiseerfahrungen zu kennen glauben, aus der besonderen Perspektive des Vagabunden, den seine eigene Lust und Neugier weitertreiben. Eine ganz neue, durchaus anwendbare Perspektive:
„Der Weg ist zum Ziel geworden und die Pilgerwanderung wurde zu meinem Leben: einem Leben abseits der ausgetretenen Pfade, ohne viel Besitz. Einem Leben, in dem Zeit bleibt, um an schönen Orten zu verweilen, um die Schönheit der Natur mit allen Sinnen zu erfahren, um der Seele freien Lauf zu lassen, ohne sie einzuengen. Einem spontanen Leben, in dem der Augenblick zählt, mit dem Bewusstsein, dass er einzigartig ist und nie wiederkommen wird. 'La vie est belle“, das Leben ist schön!"
Solche Zitate erfüllen auch den Leser mit Optimismus. Sie rufen ihm zu: Mach es mir nach! Komm, pack deinen Rucksack und sei spontan!
Sieböck lehrt den Leser auch, dass ein bescheidenes Leben ohne viel Besitz möglich sein und durchaus Spaß machen kann. Er zeichnet ein alternatives Lebenskonzept, in dem der Augenblick zählt, der unmittelbare Eindruck, das Erlebnis an sich und die tief erlebte Zeit. Philosophisch, aber treffend vergleicht er dieses "andere" Geh-Leben mit dem "normalen", auf Materielles konzentrieren Leben:
„Erst durch das Loslassen von Gewohntem konnte ich zu neuen Zielen aufbrechen und der Rucksack war in diesem Fall mein bester Lehrmeister. So stellte ich mir immer wieder die Fragen: „Wie viel trage ich in meinem Leben? Was kann ich zurücklassen? Was brauche ich wirklich?“ Das gilt nicht nur für den Rucksack, sondern ist auch für den Alltag relevant. Wir alle tragen unseren „Rucksack“, doch im Gegensatz zum Wandergepäck ist dieser meistens unsichtbar: Es sind Verhaltensmuster, Gewohnheiten, materielle Dinge, die wir angehäuft haben und die oftmals verhindern, unsere Träume zu leben. Genauso wie beim Wandern geht es auch im Leben immer wieder darum, ganz bewusst einen Blick in den „Rucksack“ zu werden und auszusortieren: Ich wollte leichter werden, um mehr Zeit und Raum für das Wesentliche zu schaffen, denn wie die Tibeter sagen: „Alles Leid kommt von der Anhaftung, alles Glück kommt vom Loslassen.“
Sieböck zeichnet uns auch die Natur aus dem Blickwinkel eines Neugierigen, weltoffenen Entdeckers. Er zeigt auf, was uns Couch-Potatoes längst abhanden gekommen ist, nämlich die Aufmerksamkeit für die kleinen, aber schönen Dinge, die am Weg liegen:
„Erst viel später wurde mir bewusst, dass wir an den schönen Dingen vorbeigehen können und sie nicht sehen, wenn wir nicht aufmerksam und achtsam sind. Diese Achtsamkeit müssen wir aber erst lernen.
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Ich gab mich dem Wechselspiel aus Licht und Dunkel, Sanftheit und Härte, Wachstum und Zerfall in allen seinen unterschiedlichen Facetten und gerade in der Schwellenphase der Gefühlszustände machte ich spannende Erfahrungen. …
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Ich erlebte viele magische Momente am Wegesrand, wie es die großen Erschwernisse gab. Ich glaube, ich hätte weder das eine noch das andere so bewusst erfahren können, wenn eine Seite gefehlt hätte. Auch die völlig unverhofften Begegnungen entlang des Weges hatten etwas Magisches. Einmal flog eine Eule vorbei, während ich mein Abendessen kochte. Sie kreiste einige Male über meinem Zelt, bis sie wieder in der Ferne des Andenhochlandes verschwand. Ein anderes Mal fühlte ich mich beobachtet, als ich die Landkarte studierte. Ich blickte auf und in fünf Meter Entfernung sah ich einen Fuchs mit einem buschigen Schwanz. In der Cordillera Blanca saß ich auf einem einsamen Bergpass im Schneesturm und erhlte mich vom steilen Anstieg. Plötzlich rissen die Wolken auf und die Sonne kam zaghaft hervor. Aufgrund der wärmenden Sonnenstrahlen döste ich ein und wurde erst wieder hellwach, als direkt über mir ein riesiger Schatten auftauchte. Ich blickte hinauf und keine drei Meter über meinem Kopf segelte ein Kondor majestätisch ins Tal hinunter. … Das waren sie, die Geschenke der Inkastraße, und sie zeigten mir, dass ich auch im Alleinsein völlig mit der Welt und dem göttlichen Geist verbunden sein konnte.“
Gregor Sieböcks Erzählungen von seinen Weltenwanderungen gehören sicher zu den besten der letzten Jahre. Bitte lesen!
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