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Wanda Rutkiewicz______________________

Pionierin, Bergsüchtige und Freigeist

Von Getrude Reinisch                                           Übersicht alpine Legenden

Im Mai 1992 verschwand Wanda Rutkiewicz spurlos im Gipfelbereich des Kangchendzönga. Niemals verschwinden wird sie aus unserem alpinen Gedächtnis, denn die Pionierin des Bergsports hat Großartiges geleistet.

12. Mai 1992: Wanda Rutkiewicz bricht zum Gipfel des Kangchendzönga, des dritthöchsten Berges der Welt, auf. Mit dabei der Mexikaner Carlos Carsolio, der den Gipfel noch am selben Tag schafft. Wanda hingegen – nicht ganz gesund und langsam unterwegs – biwakiert vor dem Gipfel. Für immer. Seither gilt die bis dahin erfolgreichste Höhenbergsteigerin als vermisst. Nach 22-jähriger Expeditionserfahrung, die sie bei mehr als 20 Expeditionen gesammelt hatte, verloren sich ihre Spuren beim Versuch ihren neunten Achttausender zu erreichen. Auf einer Höhe von 8.300 Metern endete das abenteuerliche Leben von Wanda Rutkiewicz, die drei Jahrzehnte lang unaufhaltsam Pionierarbeit im Frauenalpinismus geleistet hatte.

Karawane der Träume
Wanda1990 hatte die 49-jährige die Pionierin des Bergsports im 20. Jahrhundert bereits 6 der 14 Achttausender bestiegen. Noch acht weitere Gipfel und sie wäre nach Reinhold Messner und Jerzy Kukuczka der dritte Mensch bzw. die erste Frau gewesen, die alle Achttausender bewältigt hätte. Doch Wanda wollte noch mehr: "Ich strebe an, in etwas mehr als einem Jahr, acht Gipfel, die höher als 8000 Meter sind, zu besteigen. Falls mir das gelingt, werde ich auf allen vierzehn Achttausender-Gipfeln der Erde stehen. Ich nenne meinen Plan 'Karawane der Träume', da ich versuche, etwas durchzuführen, das nur im Traum möglich zu sein scheint. Ich werde einfach losziehen von Berg zu Berg, wie es die Karawanen schon immer getan haben." Damit hätte sie sich die kostspielige Anreise und die langwierige Akklimatisationszeit erspart, die der menschliche Organismus in derart hochgelegenen Regionen benötigt. Die immense Langzeitbelastung ohne Erholungspausen wollte sie mit mentaler Kraft, eiserner Kondition und jahrzehntelanger Bergerfahrung wettmachen. Anfangs ging alles gut. Nach zwei erfolgreichen Besteigungen im Alleingang (1991: Cho Oyu, 8201 m, und Annapurna-Südwand, 8.091 m), folgte 1992 der Kangchendzönga …

Als Frau unter Männern
Wanda war auf den Gipfeln von acht Achttausendern gestanden. Keine andere Frau hatte bis dahin derartige Leistungen vollbracht. "Ich musste das Gleiche leisten, wie die männlichen Teilnehmer, damit ich überhaupt das Recht auf einen Gipfelversuch erhielt. Um akzeptiert zu werden, müssen Frauen eigentlich besser sein als Wanda in der WandMänner." Wanda führte erstmals nur mit Frauen schwierigste Besteigungen und Expeditionen durch, an denen viele männliche Seilschaften gescheitert waren und wurde zur Wegbereiterin des selbständigen Frauenalpinismus. "Wanda Rutkiewicz lebt die Emanzipation in der Tat und braucht nicht mehr darüber zu reden. Ihre Leistungen sind keine Argumente, sondern Beweise," charakterisierte sie Reinhold Messner voller Anerkennung. Bis heute ist es keine Selbstverständlichkeit, dass Frauen schwierigste Routen auf höchste Gipfel klettern und Frauengruppen gelten an den Weltbergen noch immer als Ausnahme. "Ich verspüre keinen inneren Zwang, immer die Beste sein zu wollen, sondern suche die Herausforderung. Den Wettkampf führe ich nur mit mir selbst. Bei jeder Expedition stelle ich mir neue Aufgaben, um meine Fähigkeiten zu überprüfen. Der Aufstieg auf einen Achttausender ist nichts Außerordentliches. Ich bin davon überzeugt, dass viele andere Frauen es auch schaffen würden. Es ist nur eine Frage des starken Willens und der Organisation. Doch es wäre ein Irrtum zu glauben, dass die höchsten Gipfel für alle erreichbar seien. Ein gewisses Risiko bleibt immer, sonst wäre es kein Abenteuer. Wenn man alles verlieren kann, spürt man das Leben erst richtig und lernt es zu schätzen. Ich liebe das Leben, je dichter und dramatischer, desto besser."

Ich liebe das Leben, je dichter und dramatischer, desto besser.

Wege in die Freiheit
Mit 18 entdeckte Wanda (1961) eine neue Leidenschaft – das Klettern. "Die Kursleiter der Bergsteigerschule in der Hohen Tatra, hielten wenig davon, Frauen im Bergsteigen auszubilden. Bergsteigen galt als Männersport, aber ich war auf Anhieb fasziniert und erlebte dieses Ereignis als innerliche Explosion. Die Berge waren für mich Orte des Friedens und der Freiheit, in den Bergen fühlte ich mich zu Hause, bald bedeuteten sie alles für mich, weil ich dort glücklich war." 1966 kam Wanda zum Mont Blanc, aber für Liftkarten reichte das Geld nicht. "Damals habe ich den Mont Blanc von seinem Fuß bis zum Gipfel mehrmals bestiegen und immer schwere Rucksäcke geschleppt. Die Anstrengung war mit meinen späteren Unternehmungen im Himalaya vergleichbar." In der männlich dominierten Extrembergsteigerszene begann Wanda in Frauengruppen zu klettern und der Klub Wysokogórski unterstützte die Frauen dabei. "Bisher waren Frauen immer nur als Aufputz zu Expeditionen mitgenommen worden. Aber ich wollte mit Frauen bergsteigen, selbst Verantwortung übernehmen, statt mich von Männern auf Gipfel führen lassen. Für mich zählt vor allem, wie ich hinaufgekommen bin, ob es mir aus eigener Kraft gelungen ist und meine Entscheidungen richtig waren." Kaum jemand traute Wanda damals zu, eine gute Bergsteigerin zu werden und kaum jemand konnte sich ihrem herben Reiz entziehen.

Meilensteine
Reisen in ferne Länder zählten im kommunistischen Polen zu den nicht realisierbaren Träumen. Wer die Chance geboten bekam, an einer Expedition teilzunehmen, vergaß die Familie und entledigte sich für eine gewisse Zeit seiner Arbeit. Dies war damals meist ohne finanzielle EiWanda nbußen möglich, denn Staat und Arbeitsstelle sponserten Expeditionen. 1968 durchstieg Wanda mit Halina Krüger-Syrokomska als erste Frauenseilschaft die Riesenwand des Trollryggen-Ostpfeilers in Norwegen, auch die Eiger Nordwand (Nord-Pfeiler-Route, 1973) und die Winterbesteigung der Matterhorn-Nordwand gelangen ihren Frauenteams. "Unsere Ausrüstung war völlig ungeeignet für so eine Unternehmung, aber in Polen gab es zu dieser Zeit nichts Besseres. Wir hatten gewusst, worauf wir uns einließen und hielten eisern durch." Am vierten Tag erreichten die Polinnen den Zmuttgrat. Sie mussten aufpassen, nicht vom Sturm hinunter geweht zu werden. Irena war bereits völlig apathisch und litt unter Gleichgewichtsstörungen. Sie mussten nochmals biwakieren, Wanda versuchte über Funk Hilfe zu holen, erhielt aber keine Antwort, weil das Gerät defekt war. Ihr Hilferuf war aber gehört worden und die schwierige Bergung mit dem Rettungshubschrauber wurde noch in der Nacht eingeleitet. Wanda wollte trotzdem selbst absteigen, um die Tour zu vollenden. "Es hätte nur mehr einen Tag gedauert, aber man kann nicht mit einem Bergretter streiten, wenn der Pilot bei diesen Witterungsverhältnissen sein Leben für uns riskiert hat. Nach der Tour waren meine Füße schwarz und geschwollen, aber Dank der effektiven Behandlung in der Innsbrucker Klink hatten die Erfrierungen keine Konsequenzen." "Da ich 1975 nicht zur polnischen Lhotse-Expedition mitgenommen wurde, beschloss ich selbst eine zu organisieren." Diese erste polnische Frauenexpedition setzte sich den höchsten bisher unbestiegenen Gipfel der Erde zum Ziel, den Gasherbrum III, 7.952 m, im Karakorum in Pakistan und dazu noch eine neue schwierige Route auf den Gasherbrum II (8.034 m, gemischte Expedition). Wanda war das erste Mal Expeditionsleiterin und wollte unbedingt auf den Gipfel. Ihr größter Gegner war das Misstrauen der anderen Teilnehmer, denn niemand traute ihr zu den Gipfel zu erreichen und schon gar nicht, die Expedition leiten zu können. Doch Wanda ließ sich nicht beirren. "Beide Gipfel gelangen und es war vielleicht eine der erfolgreichsten Expeditionen, die Polen je durchgeführt hat."

Das Bergsteigen war ein Teil meines Lebens geworden, wie Essen oder Schlafen. Denn auch wenn man noch so satt ist, wird man bald wieder hungrig. Bergsteigen ist meine Droge!

Mount Everest
"Die anderen stiegen einfach weiter, ließen mich stehen, als ich verzweifelt im Schnee nach meiner Sauerstoffflasche suchte. Meine Knie zitterten, ich war an meinem emotionalen Tiefpunkt angelangt. War es der Gipfel überhaupt noch wert, darum zu kämpfen? In Panik schrie ich nach den rasch verschwindenden Bergsteigern. Sherpa Mingma antwortete, dass er meine Flasche habe. Jetzt durfte ich nicht mehr aufgeben. Ich mobilisierte meine innersten Reserven." Wanda folgte den Spuren der Männer im tiefen Schnee und balancierte seilfrei über die eisverkrustete Kante zwischen Südgipfel und Am EverestHillary Step (siehe Bild unten). Schnee und Eis rutschten zu beiden Seiten in die Tiefe. Tausend Meter Abgrund lagen unter ihr. "Irgendwie wurde mir ganz eigenartig in der Magengrube. Ich hatte Angst abzustürzen und kein Mensch würde es bemerken. Plötzlich bekam ich keine Luft mehr. Ich riss die Sauerstoffmaske vom Gesicht und sah die anderen am Gipfel. In diesem Moment konnte mich nichts mehr aufhalten. Man kann viel mehr leisten, als man glaubt. Um 14.00 Uhr stand ich auf dem höchsten Punkt der Erde. Ich war so glücklich. Als ich mich umsah, meinte ich die Wölbung der Erdkugel zu erkennen ... Am meisten bedeutet mir, dass ich als erste Person aus Polen den Everest besteigen hatte, und zwar am gleichen Tag, an dem Karol Wojtyla zum Papst gewählt wurde. Aber nicht nur ich, jeder hat in seinem Leben irgendwo einen Everest zu besteigen. Mein Erfolg war der Beweis, dass jedem gelingen kann, was man sich vornimmt." Durch die Erfolge Wandas und anderer polnischer Expeditionen erreichten Bergsteiger in Polen eine Popularität wie Olympia-Medaillengewinner. Ihre Leistungen wurden anerkannt und in Medien präsentiert. Das wirkte sich auch finanziell aus.

Bergsteigen als Droge
"Das Bergsteigen war ein Teil meines Lebens geworden, wie Essen oder Schlafen. Denn auch wenn man noch so satt ist, wird man bald wieder hungrig. Bergsteigen ist meine Droge! Wenn in der dünnen Luft jeder Schritt zur Qual wird, finde ich zu mir selbst und spüre deutlich, dass mir jemand hilft. Vielleicht meine Mutter zu Hause, die für mich betet, oder die Nähe Gottes. Ehrlich gesagt, bin ich eine ängstliche Person. Diese Angst warnt mich davor, dass mir etwas Schreckliches zustoßen könnte!" (1972, fiel Wandas Vater einem Raubmord zum Opfer.) Wandas unglaublicher Mut war das hart erkämpfte Ergebnis intensiver Arbeit an sich selbst. Sie kletterte allein und ohne Seilsicherung, weil sie diese Stress-Situation, sich keinen Fehler erlauben zu dürfen,Wanda meistern wollte. "Ich kämpfe mit mir, nicht mit dem Berg! Die Angst ist mein wichtigster Ratgeber bei der Einschätzung des eigenen Könnens, denn Berge verzeihen Fehler selten!" Die Aconcagua-Besteigung über die Südwand (1985) mit dem Schweizer Bergführer Stephan Schaffter zählte Wanda zu ihren größten Leistungen. "Als der Lawinenstrom über uns hinweg sauste, klammerten wir uns mit aller Kraft in der Wand fest, damit wir nicht mitgerissen wurden. Aber es hingen immer noch Lawinen über uns: die Bedrohung war allgegenwärtig. Dann holte uns auch noch das Schlechtwetter ein. Wir waren in der riesigen Wand gefangen." Vollkommen ausgelaugt erreichten die beiden den Gipfel. "Im eisigen Sturmwind krochen wir auf allen Vieren über die Normalroute hinunter und kämpften ums Überleben bis wir den Fuß des Berges 3000 Meter weiter unten erreicht hatten." Im selben Jahr führte Wanda eine Frauenexpedition auf den Nanga Parbat und 1989 auf den Gasherbrum II. Wandas unstillbare Sucht nach Grenzgängen in schwindelnden Höhen brachte sie zeitlebens immer wieder bedrohlich ans Limit ihrer Belastbarkeit und oft auch in tödliche Gefahr. "Wer mit Ziegenmilch großgezogen wurde, hat – so sagt man in Polen – die Sturheit im Blut und verfolgt unbeirrbar seine Ziele, selbst wenn sie das Leben kosten sollten. Beim Bergsteigen kann Unentschlossenheit tödlich sein." 1986 setzte sie als erste Frau der Welt ihren Fuß auf den Gipfel des K2 (8.616 m), eine unglaubliche Leistung, die von tragischen Unfällen (17 Tote) überschattet wurde. "Ich habe viele Freunde am Berg verloren, aber von einer Leidenschaft wie dem Bergsteigen kommt man nicht weg, auch wenn man dabei dem Tod begegnet. Den Geschmack des Lebens erkennt man am besten, wenn man es verlieren kann! Mir kam aber nie in den Sinn, dass es auch mich treffen könnte. Ich fühlte mich ganz sicher, als wäre ich unsterblich. Ich muss den Tod ja nicht herausfordern."

Wandas Männer
"Bergsteiger sind anders als andere Menschen, deshalb finden sie nur schwer einen Partner, der wie sie denkt. Eigentlich bewundere ich die Frauen berühmter Alpinisten mehr als diese selbst, denn ich kann mir nicht vorstellen, dass irgendein Mann mit so einem Leben einverstanden wäre." WandaWandas erste Ehe mit Wojtek Rutkiewicz, dem Sohn des damaligen polnischen Vizeministers für Gesundheit, scheiterte 1973 nach drei Jahren am Unverständnis des jungen Ehemannes für Wandas fanatische Bergbegeisterung. Ihre angestrebten Ziele entsprachen nicht dem herkömmlichen Bild einer Ehefrau. Ehe Nr. 2 mit dem Innsbrucker Arzt Dr. Helmut Scharfetter war aus einer jahrelangen tiefen Freundschaft entstanden, doch auch dieser Traum vom häuslichen Glück mit zwei Stiefsöhnen war 1984 nach drei Ehejahren ausgeträumt. "Wenn man verliebt ist, zählt nichts anderes. Man akzeptiert sich gegenseitig mit allen Fehlern. Bis man mit der Wirklichkeit konfrontiert wird und feststellen muss, dass man sich gegenseitig nur mehr weh tut. Ich hatte geheiratet, weil ich glaubte, dass Ehe und Kinder zu meinen Lebensaufgaben gehören. Als mir bewusst wurde, dass mich familiäre Pflichten nicht zufriedenstellen, sah ich keinen anderen Ausweg als die Trennung!" Ihr Ehemann Helmut Scharfetter über ihre Ehe: "Wanda war damals unglaublich attraktiv. Ihre Intelligenz faszinierte mich. Unter dem Druck der politischen Ereignisse – in Polen war das Kriegsrecht ausgerufen – hatten wir überstürzt geheiratet. Mir war wichtig, dass Wanda im Westen bleiben durfte. Doch sie war an nichts anderem interessiert, als an ihren Expeditionen. Als österreichische Staatsbürgerin konnte sie reisen, wohin sie wollte. Sie war nicht aufzuhalten. Das war typisch für ihren Charakter. Es hatte keinen Sinn mehr". "Ich habe die Einsamkeit gewählt, weil ich nicht auf die Berge verzichten kann. Sie ziehen mich an wie ein Magnet. Ich möchte die Freude spüren, wenn die Atmosphäre bei Expeditionen übermütig, spannend und emotionsgeladen ist und ich am Gipfel stehe." Mit Expeditionsbergsteiger Kurt Lyncke schien Wanda Rutkiewicz endlich einen passenden Partner gefunden zu haben, als es mit einem Schlag auch schon wieder zu Ende war: Am 24. Juli 1990 stürzte Lyncke am Broad Peak nur wenige Meter hinter Wanda 400 m tief zu Tode. Diesen tragischen Verlust des geliebten Menschen hat sie nie überwunden. "Ich bewunderte ihn für alles, konnte bei ihm aufblühen. Er wirkte stimulierend auf mich. Als er verunglückte, hasste ich zum ersten Mal in meinem Leben die Berge."

Wanda war die Unvernunft in Person, attraktiv, charismatisch, faszinierend und völlig unberechenbar.

Leben in Höchstgeschwindigkeit
Wandas Leben war wie ein Actionfilm, mit Momenten des größten Glücks und tiefen Tragödien, ohne Pausen zum Atemholen und doch immer ein wenig zu spät dran. Oft passten Wandas Ansprüche und Ideale nicht mit der Realität zusammen, denn sie hatte kaum mehr Zeit zum Trainieren und ihre Bergausrüstung in Kathmandu, Delhi und Islamabad deponiert. Sie wusste gar nicht mehr genau, welche Sachen wo waren. Wenn etwas kaputt ging, musste sie es an Ort und Stelle reparieren lassen. Mit einer 16 mm Bolex-Kamera hatte Wanda als erste Frau in einer Höhe von 8000 m gefilmt, bemerkenswerte Aufnahmen gelangen.

Wanda beim Filmen

"Filmen ist zu meiner zweiten großen Leidenschaft geworden. Es ist eine schöpferische Arbeit, bei der ich wie durch eine Lupe auf die Welt schauen kann." "Die Rückkehr von einer Expedition bedeutete den arbeitsintensiven Beginn ihrer Vermarktung." – Wandas einzige Einnahmequelle. "Ich gebe gerne Interviews, auch wenn manchmal geschrieben wird, was nie gesagt wurde. Aber ich habe keine andere Wahl, weil mir sonst die finanziellen Mittel fehlen, um in die Berge zu kommen." Sponsorverträge waren einzuhalten, Filme und Fotos zu ordnen, Berichte zu schreiben, Vorträge zu organisieren. "Das Geld für die Expeditionen zusammenzubekommen ist schwieriger als den Gipfel zu erreichen." Wanda wollte alles selbst machen, auch wenn die Zeit dazu nicht mehr ausreichte, sie konnte keine Hilfe annehmen. Erst in ihren letzten Lebensjahren gelang es der Wienerin Marion Feik, Wandas prekäre finanzielle Situation zu managen, denn inzwischen war auch das Leben in Polen teuer und Wandas Existenzdruck noch größer geworden. Marion erkannte sofort, woran es Wanda fehlte: Geld, Zuneigung und ein Zuhause, wo sie sich von ihren Gewalttouren erholen konnte. "Ich war von der Ausstrahlung und der Persönlichkeit Wandas fasziniert. Ihre Gipfelerfolge interessierten mich wenig, der Mensch Wanda war wichtig. Wer sich stets in Grenzbereichen bewegt und mit dem Tod von Freunden konfrontiert wird, braucht Hilfe. Auch wenn es sich um die unangefochten beste Höhenbergsteigerin der Welt handelt." Marion war voll damit beschäftigt, Geldquellen für ihren geliebten Kletterstar zu erschließen, aber auch sie konnte nicht verhindern, dass Wandas Lebensphasen daheim chaotisch verliefen: Wanda blieb immer zu wenig Zeit zwischen Ankunft und Aufbruch. Stets nahm sie sich zu viel vor, hetzte von einem Termin zum nächsten, hatte kaum noch Zeit zum Schlafen oder für ihr Privatleben. Sie lebte ihr Leben in Höchstgeschwindigkeit. Wenn sie gerade auf der Durchreise war, schaute Wanda kurz vorbei, meist Stunden oder sogar Tage später als angekündigt, immer völlig erschöpft nach nächtelangen Autofahrten, aber die Umstände waren nebensächlich, Freunde, Fans und Medien waren ausnahmslos von der Persönlichkeit Wandas verzaubert und zunehmend besorgt. Wanda war die Unvernunft in Person, attraktiv, charismatisch, faszinierend und völlig unberechenbar. Von jedem "Boxenstopp" startete sie wieder im Renntempo. Wenn sie die Zivilisation wieder hinter sich lassen und sich der der nächsten Expedition stellen konnte, fand sie zur Ruhe und damit auch zu sich selbst.

Wanda

"Auf den letzten Metern des Anstieges überkommt mich das Gefühl, dass der Gipfel nicht wieder verloren werden kann. Das ist für mich der schönste Augenblick. Ich bin unermesslich müde und glücklich zugleich, dass ich diesen verdammten Anstieg geschafft habe. Doch der Gipfel ist auch ein Ende, ein Zeichen zum Umkehren, zur Rückkehr in den Alltag. Etwas erreicht zu haben, heißt auch, am Ende zu sein." "Meine Furcht verschwand und ich verspürte eine große Freiheit!", dieses Zitat aus Wandas Rutkiewiczs Mund steht auf einer kleinen Gedenktafel im Basislager des Kangchendzönga geschrieben, die die Erinnerung an die beste Bergsteigerin der Welt auch für kommende Generationen wachhalten soll. Ihr Leichnam wurde zwar bis heute nicht gefunden, ihre Spuren in der Alpingeschichte allerdings werden nie verwischen.

Wandas Spuren
  • 1970 Pik Lenin, 7.134 m, Pamir
  • 1971 Triglav-Nordwand, Julische Alpen
  • 1972 Noshaqu, 7.492 m, Hindukusch
  • 1973 Eiger-Nordwand, 2. Begehung, als erste Frauenseilschaft
  • 1975 Gasherbrum III, 7.952 m, höchste Erstbesteigung, die je einer Frau gelang, als Leiterin einer Frauenexpedition
  • 1978 Matterhorn-Nordwand im Winter, erstes Frauenteam
  • 1978 Mount Everest, 8.848 m, als erste Polin und dritte Frau der Welt
  • 1982 und 1984 K2 (8.611 m), LeiAm Shisha Pangmaterin einer Frauenexpedition
  • 1985 Aconcagua Südwand, Anden
  • 1985 Nanga Parbat, 8.125 m, als erste Frau zusammen mit Anna Czerwińska und Krystyna Palmowska
  • 1986 K2 (8.611 m), als erste Frau auf dem Gipfel
  • 1987 Shisha Pangma, 8.046 m (siehe Bild rechts)
  • 1989 Gasherbrum II, 8.034 m, mit einer britischen Frauenexpedition. Dabei wurde der Film "Die Schneefrauen" gedreht.
  • 1990 Hidden Peak, 8.065 m, zusammen mit Ewa Pankiewicz, als Leiterin einer Frauenexpedition
  • 1991 Cho Oyu, 8.201 m, und Annapurna-Südwand, 8.091 m, jeweils im Alleingang
  • 1992 Kangchendzönga, 8.586 m, dritter Versuch

Bilder: Archiv Wanda Rutkiewicz, Gertrude Reinisch

Buchtipp:

Gertrude Reinisch: Wanda Rutkiewicz – Karawane der Träume. Bergverlag Rother, ISBN 978-3-7633-7043-6, 192 Seiten
WandaSeit dem 12. Mai 1992 gilt die polnische Spitzen-Alpinistin Wanda Rutkiewicz als vermisst. Nachdem sie in den Jahren zuvor als einzige Frau der Welt erfolgreich auf acht Achttausendern gestanden war, kehrte sie vom dritthöchsten Berg der Erde, dem Kangchenjunga, 8586 Meter, nicht mehr zurück.
Gertrude Reinisch, Autorin dieses Buches und langjährige Partnerin und Freundin von Wanda Rutkiewicz, dokumentiert das in vielen Belangen bewegte Leben dieser attraktiven und faszinierenden Frau. Sie zeigt alle Stationen auf, von der Kindheit über die ersten alpinen Touren bis hin zu den großen Expeditionen in den Bergen der Welt. Eigene Kapitel sind den "Begegnungen und Erinnerungen" von Wandas Wegbegleitern und der "Karawane der Träume" gewidmet, Wandas verwegenem Plan, innerhalb eines guten Jahres die restlichen noch fehlenden Achttausender zu besteigen und damit als erste Frau der Welt auf allen Achttausendern der Erde zu stehen. Ein prächtig ausgestatteter Band, der mit zahlreichen bisher noch nicht veröffentlichten Bildern und Briefen von Wanda Rutkiewicz illustriert ist.

Info:

Dieser Artikel erschien auch in der Ausgabe 4/2012 des Outdoor-Magazins Land der Berge.