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Michi Wärthl____________________________________

Reinhard Karls Nachfolger

Von Uli Auffermann                                                                       Zur Übersicht

K2 – Aus purer Lust am Erlebnis

Damals, 1994, war er der Jüngste, der je auf dem K2 gestanden hat. Michi Wärthl, Extrembergsteiger und Bergführer, schloss sich in jenem Jahr einer kommerziellen Expedition an, um seinen K2-Traum zu verwirklichen. Heute führt er selbst Alpinisten auf die ganz großen Berge. Am 18. Juni 2004 stand er als Bergführer mit seiner Gruppe auf dem Nanga Parbat. Er weiß, wie schwierig es ist, unversehrt von einem Achttausender wieder herunter zu kommen, kennt die Problematik, Risiko und Sicherheit auszubalancieren. Am K2 erlebte er, wie gefährlich dieser Berg der Berge ist, wurde konfrontiert mit dem gefürchteten Schneesturm beim Abstieg, der schon so vielen Alpinisten zum Verhängnis wurde!

Was trieb ihn aber zum K2 und wie kam er glücklich und gesund wieder runter?

Michi WärthlK2
links: Michi Wärthl, rechts: Der K2 - Berg der Berge

Klettern aus purer Lust

K2, Nanga Parbat, Cerro Torre, Steileisklettern und Felswände im 10. Grad. Michi Wärthl zählt zu einer ganzen Generation von Alpinisten, die von dem Heidelberger Ausnahme-Bergsteiger Reinhard Karl beeinflusst wurden. In ihrer Motivation auf Berge zu steigen, in ihrer Selbstreflexion, in ihrer Sichtweise dem Klettersport und dem Leben insgesamt gegenüber. Karls Propagierung der Freikletterbewegung in eindrücklichen Schriften und ausdrucksstarken Bildern, sein Nachdenken über das Bergsteigen und seine selbstkritischen Überlegungen zum Tun am Berg lassen bis heute viele mit einem neuen Lebensgefühl, unverkrampfter denn je, zum Klettern und in die Berge ziehen: Aus purer Lust am Erlebnis, alle Sinne einfach zu öffnen für Genuss und Glücksgefühle, um jenseits aller tieferen Sinnsuche und Erklärungsmodelle schlicht Spaß am Tun zu haben. Neugier ist das Motiv, Abwechslung und Ausprobieren unterschiedlichster Spielformen am Berg versprechen Antrieb. Nahezu ohne Fremdbestimmung – nur für sich selbst – wollen sie Touren machen, bouldern, eisklettern und skifahren. Dabei erreichen die Besten unter ihnen so selbstverständlich Schwierigkeitsgrade, von denen der normale Gipfelstürmer nicht einmal zu träumen wagt. Sie durchsteigen die schwierigsten Klassiker der Alpenwände mit atemberaubender Lässigkeit, sind kreativ und saugen ganz nebenher die vielgestaltigen Eindrücke des "Globetrottens" in sich auf.

Der K2

Michi Wärthl ist ohne Zweifel einer von denen, die vor diesem Hintergrund intensiv leben wollen. Heute ein Profi, ein Bergführer, der allzeit fit ist, um in die Gebirge der Welt aufzubrechen oder schwierigste Klettereien zu unternehmen, bringt er schon damals alles mit, was man für einen Achttausender braucht. Auslands- und Höhenerfahrung, eine Tourenliste, in der sich viele Highlights alpiner Klettersehnsüchte befinden, vor allem aber auch Umsicht, Teamgeist und hohes Sicherheitsbewusstsein. Warum der K2 sein erster Achttausender wurde? "Im Grunde ein Zufall", sagt Michi, "Ralf Dujmovits hatte über seine Bergschule Amical Alpin die Besteigung ausgeschrieben, und so kamen wir zusammen." Ralf Dujmovits, der uns sicher allen noch bekannt ist aus der vierköpfigen Seilschaft der beeindruckenden Eiger-Nordwand-Durchsteigung von 1999 vor laufenden Live-Kameras, organisierte diese kommerzielle Expedition und trug die Verantwortung. Alle Teilnehmer sollten deshalb außergewöhnlich gute und bestens vorbereitete Bergsteiger sein.

"Den K2 zu besteigen ist ein Traumsport. Seine Träume kann man nur mit seinem Körper realisieren, er ist das Vehikel, von dem die ganze Realisation der Träume abhängt." Reinhard Karl


Oben links: Unter der sog. Schulter, rechts: Lager 3
Unten links: Blick auf Masherbrum und Chogolisa, rechts: Lager 4

Vor allem Ralf Dujmovits selbst und Michi profitieren von ihrer großen Routine als Bergführer bzw. Bergführeraspirant. Natürlich ist es überaus wichtig ein perfekter Alpinist zu sein für diesen Berg, optimal akklimatisiert und bestens trainiert, aber in manchen Augenblicken mag es für das Überleben noch ausschlaggebender sein, über eine große Entscheidungskompetenz Am Gipfelzu verfügen, kommende Situationen intuitiv vorweg denken zu können und mit schlafwandlerischer Sicherheit unter extremen Bedingungen zu handeln.

Der sechste Sinn

Jene Art sechster Sinn für Gefahren sowie die Automatisierung vieler Aktionsprozesse im Gebirge ist nun einmal den Bergführern eigen, bringt ihr dauerhafter Einsatz mit hoher Verantwortung eben mit sich. Von welch großer Bedeutung diese Fähigkeit noch werden sollte, erleben die fünf Bergsteiger beim Abstieg. Denn auch sie geraten in das gefürchtete Schlechtwetter mit Sturm, Kälte und undurchdringlichem Nebel! Nur unter Aufbietung aller Kräfte, auf der Basis großer Erfahrung, mentaler Stärke und bergsteigerischer Klasse gelingt ihnen der Rückzug aus der Todeszone.

Im Sturm

Aber zunächst zurück zum Gipfel (siehe Bild oben). Die ersten 600 Höhenmeter des Abstiegs haben es in sich. Gut 50° steil, bisweilen sogar 70° steiles kombiniertes Gelände, eine 60° geneigte, 300 Meter lange Traverse, Pulver auf Blankeis. Im SturmZum Glück haben sie Fixseile angebracht. Michi erinnert sich: "Noch schnell ein paar Fotos, dann nichts wie ab, jeder für sich allein. Der Wind wird immer stärker, und auf 8500 Meter stehen wir in der Suppe. Schneesturm! So eine Sch..., denke ich, das wolltest du um alles in der Welt vermeiden. Jetzt reiß dich zusammen! Wir fünf bleiben zusammen, das gibt Sicherheit, und die Ausgesetztheit im Schneesturm ist auch nicht so groß. Trotz allem, wir sind in guter Form, kommen flott vorwärts. Nach drei Stunden liegt das Schwierigste hinter uns, zumindest technisch."

"Sicher, wir waren zum 'Erleben' extremer Momente gekommen. Die Hochs und Tiefs intensiven Lebens liegen bei Expeditionen extrem nah zusammen. Nur sind die Hochs zumeist viel extremer und ausgeprägter als im täglichen Leben und auch die Tiefs viel härter und brutaler." Ralf Dujmovits

AbstiegDie fünf sind in knapp 8000 Meter in Lager 4 weiterhin in stabiler Verfassung.
Es war eine kleine, fast unbedeutend scheinende Überlegung, Fähnchen mit auf den K2 zu tragen und sie noch bei schönem Wetter im Aufstieg in geringen Abständen zu stecken. Jetzt sind sie ein wichtiger Zacken im Bart des Schlüssels, der die Tür zum Überleben aufschließen und ein erneutes Drama am Berg verhindern soll. GPS hin oder her – in Schneesturm und Nebel, wo ohnehin jede Bewegung der eines rostenden Roboters gleicht, hilft so ein kleines, rotes Fähnchen mehr als jede Technik. Man hat Orientierung, und psychisch hilft es zuversichtlich zu bleiben, gibt Sicherheit und Halt.
Aber noch sind sie nicht wirklich außer Gefahr. Man versorgt sich so gut es geht im Zelt, zwingt sich zu trinken, versucht die Gedanken an tragische Ereignisse, die sich genau hier an diesem Ort ereigneten, zu verdrängen. Um fünf Uhr früh am nächsten SchneesturmMorgen tobt der Schneesturm ohne Unterlass. Man kann keine 10 Meter weit sehen. Die Alpinisten müssen warten, müssen Ruhe bewahren. Die Kälte und Nässe kriecht in ihnen hinauf, und es gilt, jetzt gegen die wütenden Elemente auszuharren, aber mehr noch die eigene Stimmung hochzuhalten. Dies sind die kritischsten Momente der Expedition. Um sieben Uhr schaut Michi aus dem Zelt: "Jaaa, es ist soweit, ich kann die erste wichtige Fahne am Ende der Schulter erkennen, dort wo wir nach Osten in die Flanke hinabsteigen müssen. Schnell, schnell, sonst zieht es wieder zu", brüllt er.
Der Schnee ist knietief. Es hat über einen halben Meter Neuschnee geworfen. Erhöhte Lawinengefahr, größte Vorsicht und Konzentration sind gefordert. Dank der Fahnen erreichen alle wohlbehalten Lager 3. Das Tor ins Leben, zurück in die Sicherheit des Tales, steht offen. Der weitere Abstieg bleibt schwierig und knifflig, aber mit jedem Schritt steigt die Gewissheit, es geschafft, den Berg wirklich für sich gewonnen zu haben. Diese souveräne Leistung nahm vielleicht noch ein Stück des K2-Nimbus. In jedem Fall haben die fünf bewiesen, dass man es vom Berg schaffen kann, selbst wenn die Elemente alles aufbieten, eine weitere Tragödie heraufzubeschwören. Gewiss gehörte auch Glück dazu, darüber hinaus natürlich enorme physische und psychische Reserven sowie die Erfahrung, weit vorauszuschauen und schon beim Aufstieg an den Rückzug zu denken. Vor allem aber der Mut, nicht alles in eine Waagschale zu werfen, nicht zuviel zu riskieren.

"Der K2, der Berg der Berge, ist der König, ohne Zweifel." Reinhard Karl

Im Basislager löst sich die gesamte Spannung. Langsam macht sich ein alles durchströmendes Glücksgefühl breit. Michi Wärthl fällt es schwer, Schlaf zu finden. Nochmals laufen die Stationen des Aufstiegs vor seinem inneren Auge ab. Er sieht sich monoton bergauf stapfen, spürt wieder die ungeheure Konzentration in den heiklen Passagen der Eisbrüche, in den kombinierten Teilstücken, den steilen Eishängen, empfindet Dankbarkeit dem ganzen Team gegenüber, das Geborgenheit und Stabilität gewährleistete, und bevor er endlich einschläft, hat er noch einmal das Bild der mächtigen Pyramide des K2 in all seiner Pracht vor sich, welches Reinhard Karl so zusammenfasste: "Der K2, Berg der Berge, ist der König, ohne Zweifel."

Traumjob mit perfektem Ausgang

Erst in der Rückschau realisiert Michi Wärthl, was ihm damals mit 24 Jahren gelang. "Es ist schwer dieses Erlebnis, diese Eindrücke vom K2 zu toppen!", sagt er, "mich haben immer nur Berge mit einer starken Aura gereizt, ästhetische, charismatische Berge!" Der Cerro Torre ist so einer oder auch der Nanga Parbat. Zum letzteren ist er in diesem Frühjahr wieder als Bergführer aufgebrochen und hat den Gipfel erreicht! Auch an diesem Berg ist der Abstieg heikel, und Michi Wärthl ist sich über die hauchdünne Grenze zwischen Glück und Gefahr sehr bewusst: "Traumjob mit perfektem Ausgang. Zusammen mit sieben Teilnehmern von insgesamt acht standen wir am 18. Juni 2004 auf diesem von Mythen umgebenen Achttausender. Der Abstieg erforderte nochmals unsere gesamte Aufmerksamkeit. Bis zu 60 Grad steiles Gelände, tückischer windgepresster Schnee, beschädigte Fixseile und die permanente Ausgesetztheit lassen es für mich immer noch wie ein Wunder erscheinen, dass alle sicher ins Basislager zurückgekehrt sind."

"Mich haben immer nur Berge mit einer starken Aura gereizt, ästhetische, charismatische Berge!" Michi Wärthl

Michi Wärthl

Infos zur Expedition

K2-Expedition der Bergschule Amical Alpin von Ralf Dujmovits

Leitung: Ralf Dujmovits, organisiert als kommerzielle Expedition seiner Alpinschule Amical Alpin
Teilnehmer: Rob Hall (Neuseeland), Veikka Gustafsson (Finnland), Alain Roussey und Expeditionsarzt Philippe Arvis (Frankreich), Henning Paschke, Christian Mayer, Michi Wärthl, Rodja Ratteit und Axel Schlönvogt (Deutschland)
Route: Abruzzigrat
Zeitpunkt: Mitte Juni bis Ende Juli 1994

Am 9. Juli erreicht Rob Hall den Gipfel mit Flaschensauerstoff; am 23. Juli stehen Ralf Dujmovits, Michi Wärthl, Veikka Gustafsson, Axel Schlönvogt und der Australier Michael Groom, der sich ihnen angeschlossen hatte, auf dem Gipfel des K2, ohne künstlichen Sauerstoff zu benutzen

Steckbrief

Michael Wärthl, geb. 1970, Studium der Feinwerktechnik, ist heute Michi WärthlBergführer und Profibergsteiger. Er beginnt mit 14 Jahren, sich für die Berge zu begeistern. Über das Skitourengehen findet er zum Klettern, interessiert sich besonders für das Reisen in heimatferne Gebirge und steht mit 18 Jahren auf seinem ersten 6000er in den bolivianischen Anden. Das Karakorum, Patagonien, die Rocky Mountains, der Pamir sind weitere Stationen auf seinem Weg. Daneben ist er ständig in den Alpen unterwegs, macht alles, was "Rang und Namen" hat, alpine Klassiker und natürlich moderne Sportkletterrouten.
Ihm gelingen schwierige Erstbegehungen, 1994 erreicht er mit 24 Jahren als zu der Zeit jüngster Bergsteiger den Gipfel des K2.
Auch als Bergführer unternimmt er mit seinen Kunden schwierigste Unternehmungen, ob Walkerpfeiler oder Eigernordwand. Seit Beginn dieses Jahres nun ist Michi Wärthl auch Ausbilder für Berg- und Skiführer.

Einige seiner Erfolge:

  • Pik Kommunismus und Pik Korzheneskaya, 1990
  • K2, 1994
  • 1. Beg. "Vogelfrei", Schüsselkar-S-Wand (13 SL, 10/10+), 1997
  • 5. Beg. Gurla Mandata (7694 m), 2002
  • Ama Dablam (6856 m), 2002
  • 1. erfolgreiche Führung "Supercanaleta", Fitz Roy, als Bergführer, 2003
  • 1. Wiederholung "La vida es silbar" (28 SL, 9/9+), Eigernordwand, 2003
  • Nanga Parbat, 2004, als verantwortlicher Bergführer leitet er eine Expedition auf diesen Achttausender und bringt sieben Teilnehmer sicher hinauf und hinunter.
Text:
Uli Auffermann
Bildrecherche:
Uli Auffermann
Bilder:
Michi Wärthl
Internet:
www.uliauffermann.de
Lesetipp:
"K2 - Menschen, Mythos, Motivationen" - Die Besteigungsgeschichte des K2, erzählt von Uli Auffermann. Nachzulesen im Outdoormagazin "Land der Berge", 5/2004. Bezug: office@lwmedia.at, www.landderberge.at
Buchtipps:
Uli Auffermann: Was zählt ist das Erlebnis - Anderl Heckmair. Alpinist und Lebenskünstler
Uli Auffermann: Anderl Heckmair - Querblicke/Augengang. Ewiger Kalender
Unter der Schulter, 7.700m Lager Ausblick auf Masherbrum und Chogolisa Lager 4