Bergsteigen
im Rollstuhl? Warum nicht. Sechs aufregende Bergsport-Abenteuer zu Lande,
zu Wasser und in der Luft galt es für die Teilnehmer der Rollstuhl-Trekkingtour
KSG im österreichischen Salzkammergut zu bestehen. Neben einer
Bergtour in Trekking-Bobs gab es luftiges Gleitschirmfliegen, rasante
Wildwasserfahrten, Handbike-Touren sowie eine atemberaubende Höhlenerkundung
auf Spezialkissen. Dabei wurde dem 18-köpfigen KSG-Rolli-Trekking-Team,
darunter sieben Rollstuhlfahrer, Teamgeist,
Ausdauer, Geschicklichkeit und Wagemut abverlangt. Dank Unterstützung
der Reha-Unternehmen Otto Bock, Coloplast, Praschberger und dem Outdoor
Ausrüster Salewa startete das Trekking-Team Anfang Oktober 2004
ins Salzkammergut. Jeder Rollifahrer konnte seinen eigenen Teampartner
mitbringen.
Harry Höll (Bergführer, Team Alpin Austria, Bild rechts) erklärte
zu Beginn die wichtigsten Marschrichtungen in Landessprache: "Auffi,
abi, ummi, fieri, damit ihr wisst, wo's lang geht." Über
der Trekking-Woche für Handicaps stand das Motto "Nicht träumen
sollt ihr euer Leben, sondern erleben, was ihr träumt!" -
Ja, für viele wurden Träume wahr.
Die
Idee bei einem Kaffee in Saas Fee
Am
Anfang eines besonderen Projektes lernte ich anlässlich einer 4000er
Woche um Saas Fee Julia Heil kennen, Teilhaberin der Firma Rehability
und Leiterin von KSG
ReinNeckar, einer integrativen Sport- und Kulturgruppe. Wir kamen
auf das Thema Rollstuhlfahrer und Exremsportarten zu reden und hatten
just bei einem Kaffee in Saas Fee die Idee, etwas noch nie Dagewesenes
zu organisieren und durchzuziehen - ein Extrem-Outdoor-Programm für
Handicaps. Das Motto der "Rolli-Trekking"-Woche bot sich gleichsam
von selbst an: "Nicht träumen sollt ihr euer Leben, sondern
erleben, was ihr träumt!"
Als Ort der Veranstaltung drängte sich Obertraun am Hallstättersee
auf. Wo außer am Hallstättersee hat man schon die Möglichkeit,
so viele verschiedene Extremsportmöglichkeiten auf kleinstem Raum
auszuüben. Nicht umsonst ist Obertraun zu einer Hochburg des Extremsports
herangewachsen. Als Termin wurde die erste Oktoberwoche 2004 festgelegt.
Fragen
über Fragen
Julia und
ich waren gespannt, wie die Rolli-Woche gelingen würde. Wie wird
das Wetter? - schließlich steht und fällt im Outdoorsport
alles mit dem Wetter. Wie wird die Gruppe zusammenpassen? Wie wird alles
funktionieren, wie ankommen?
Der Start passte wie geschmiert, nach und nach trudelten die Teilnehmer
ein, 6 Jungs und ein Mädchen im Alter von 26 und 42 Jahren, sportlich
angehaucht, hoch motiviert und kein Bisschen auf den Mund gefallen.
Jeder der Rollstuhlfahrer kam mit einem für das Trekking notwendigen,
persönlichen Helfer, ob Mutter, Vater, Cousin oder Freund(in) stand
den Teilnehmern frei.
Über
Bord! ... Raften
Per
Handbikes radelten wir dem ersten Abenteuer entgegen, dem Raften. Handbikes
sind an den Rollstuhl anbau- und mit den Händen antreibbare Vorderräder,
mit denen man wie mit einem Fahrrad durch die Gegend rauschen kann.
So radelten wir entlang des Hallstättersees durch Hallstatt, während
das Licht der Morgensonne die Herbstlandschaft des Salzkammergutes weckte.
Bergauf gaben die Radfahrer den Handbikern teilweise etwas Hilfe, meist
reichte es, wenn wir nur etwas anschoben.
In Steeg erwartete uns schon der Wildwassermensch Alois Zopf, Chef des
Aktiv Clubs Salzkammergut, mit seinen zwei Raftguides Pepo Luger und
Raimund Mayr, die gleich mit dem Austeilen der Neoprenanzügen begannen.
Diese Gummihaut gibt die nötige Wärme für das herbstliche
Wildwasser.
Die erste Stromschnelle fordert die Rafter bereits kurz nach dem Start,
führt die Traun doch wegen vorangegangener Regenfälle einen
gewaltigen Wasserstand. In den ruhigen Flusspassagen kommen - das liegt
wohl auf der Hand! - alle auf die gleiche Idee: Flutsch! Platsch - fast
jeder, egal ob Fußgeher oder Rollstuhlfahrer, geht nach und nach
über Bord ...
Man kann sich kaum vorstellen, wie schwer es ist, ohne Bauchmuskulatur
und Gefühl auf einem Schlauchbootrand zu sitzen. So mancher war
von der Brust bis zu den Zehen hin gelähmt.
Das Ziel
der Raftingtour in Lauffen, nahe Bad Ischl, war erreicht. Eine 3-stündige
Wildwasserfahrt lag hinter uns, nur noch die Flussböschung musste
überwunden werden, meist auf dem Rücken eines der "Mulis",
wie die Helfer von den Rollstuhlfahrern genannt wurden.
Kalle, die gute Seele der Truppe, ein Mann mit einem Oberarmumfang,
wie andere an den Oberschenkeln nicht haben, war immer zur Stelle.
Über
den Wolken ...
Ab
in die Autos und rüber in die Steiermark, wo uns ein idealer Herbsttag
begrüßte, inklusive perfekte Startbedingungen.
Am Parkplatz des Panorama-Restaurants sattelten wir von den Rollstühlen
auf Paramountys um, spezielle Geräte für den Einsatz auf hochalpinen
Wegen in unserem Fall, den steilen Zustiegsweg zum Startplatz.
Ich bin seit 16 Jahren Gleitschirmpilot und weiß, wie schwer es
ist mit jemandem, der noch nie Tandem geflogen ist, zu starten, besonders,
wenn der Passagier nicht
mitlaufen kann.
Unsere Taxiflieger benötigten zwei Starthelfer, die den Passagier
seitlich am Gurtzeug aufhoben und mit 2 bis 3 Schritten in der Aufziehphase
die nötige Unterstützung gaben. Alles lief wie am Schnürchen
- Steilkurven, Steilspiralen, wilde Wing Over's durch die Steirerluft,
wer wollte, konnte den Gleitschirm auch mal selbst steuern, manche mit
der Thermik, die an diesem phantastischen Herbsttag herrschte, den Losergipfel
überhöhen.
Und keiner wollte mehr aufhören, sondern einfach nur mehr, mehr,
mehr dieses einzigartige Gefühl der Freiheit genießen.
Am Westufer des Altauseersees hieß es trotzdem zur Landung anzusetzen,
jeder Rolli-Passagier musste jetzt mit voller Konzentration und genau
im richtigen Moment mit seinen Händen die vorher zusammengebundenen
Beine anheben, um so wie ein Schwan im Wasser zu landen.
Vorne
zieht's, hinten schiebt's ... Das Kalmberg-Abenteuer
Bis jetzt
war ja alles halb so wild, aber der Mittwoch brachte das Feuer so richtig
zum brennen
Bergsteigen mit Rollstuhl?
Die Route: Von Gosau die 800 Höhenmeter und 5 Entfernungskilometer
rauf zur Goiserer Hütte (1655 m). Die Hütte,
ausgesetzt am NW-Grat des Kalmberges gelegen, wird vom Pächterpaar
Kathi und Robert Rehn bewirtschaftet. Die Goiserer Hütte ist bekannt
für den einzigartigen Kaiserschmarrn, den Kathi Teller für
Teller frisch zubereitet.
Als ich früh morgens in der Hütte anrufe, um die genaue Teilnehmerzahl
durchzugeben, fragt mich Robert in seinem urigen Goiserer Dialekt ungläubig:
"Wos, ia kemts wiaklich??? Nojo wanns eich do ausisechts."
Ja, sicher kommen wir, und zwar mit 30 Personen, mussten wir doch für
das Kalmberg Abenteuer 10 weitere freiwillige Helfer anheuern.
Beim
Start in Gosau hieß es für die Helfer Hüftgürtel
anlegen, die Zugleinen an die Rollstühle anbringen und vorsichtig
die ersten Zugversuche machen. Was nicht immer auf Anhieb funktionierte.
Dann aber los nach dem Motto Gemeinsam gehts! Vorne zieht's
und hinten schiebt's!" Anfangs über einen Forstweg bis
zur Iglmoos Alm, wo wir, mit Radler und Speckbrot gestärkt, wieder
weiterzogen.
Etwas oberhalb der Iglmoos-Alm direkt über einen hochalpinen Wanderweg
weiter, allerdings nicht mehr mit dem Rollstuhl, sondern mit unseren
viel geländegängigeren Paramountys oder Trekking-Bobs.
Der Rollstuhlfahrer sitzt, ausgerüstet mit zwei Teleskopskistöcken,
im Paramounty, während er von einem Helfer vorne und einem hinten
tatkräftig unterstützt wird und so den hochalpinen Weg meistern
kann.
Am Wanderweg selber wurde keinem etwas geschenkt, weder den Mulis (Helfern),
noch den Rollifahrern. Kaum auf der Hütte angekommen, war allerdings
nichts mehr von der Anstrengung zu hören oder sehen, dafür
waren die Szenerie und das Panorama viel zu schön, mitten im Herbst
Temperaturen um die 20° und das auf 1600 m Seehöhe.
Aus dem Abendrot schälte sich alles, was in Good Old Austria so
Rang und Namen hat, vom Dachstein über Großglockner bis hin
zum Großvenediger - alles schien in Griffnähe zu liegen.
Keiner, der nicht begeistert gewesen wäre und die Natur und den
Ausklang dieses anstrengenden Tages genossen hätte. Noch bevor
es dunkel wurde, bauten wir noch in Hüttennähe unsere Salewa-Zelte
auf, damit das Abenteuerfeeling perfekt würde. Bald darauf waren
wir auch schon mitten drin in der Hüttengaudi, da wurde gesungen
und gespielt, bis die Saiten der Gitarre glühten. Mittlerweile
waren wir mehr als ein Team, waren von Stunde zu Stunde mehr und mehr
zu einer großen Familie zusammengewachsen.
Einen Dialog, die mich beeindruckte, aber auch das Feeling dieser Rolli-Woche
unterstrich, möchte ich nicht vorenthalten. Der eine Eckard, vor
2 Jahren noch Bergsteiger, der andere Kevin, beide durch einen Skiunfall
gelähmt. Eckard: "Dass ich so etwas noch mal erleben darf."
Kevin: "Siehst, das können wir auch alles ohne unsere Beine
machen, die brauchen wir ja gar nicht."
Grenzwertig
... Höhlentrekking
Caving
oder Höhlentrekking wird das Begehen von Höhlenschächten
abseits ausgebauter Führungswege genannt. Begehen schön und
gut - aber wie funktioniert das, wenn man nicht gehen kann?
Mit dem Rollstuhl entlang des gut ausgebauten, allerdings stufenreichen
Führungsweges bis zur so genannten Hannakluft, ungefähr einen
halben Kilometer im inneren der Obertrauner Koppenbrüllerhöhle.
Von dort seilten wir uns erst ca. 10 m vom Führungsweg bis zum
Klufteingang ab und gingen den Kampf gegen die teilweise nur 40 cm breite
Hannakluft an. Als Schutz dienten der obligate Helm mit Stirnlampe,
Knie- und Ellbogenschützer und ein Gesäßschutz, den
uns die Pharmafirma Otto Bock zur Verfügung stellte. Nachdem alle
die Schlüsselstelle der Hannakluft bravourös gemeistert hatten,
mussten sie sich einen 15 m hohen Schacht über ein Fixseil hocharbeiten.
Das Aufsteigen am Seil wurde von mir mittels einer Seilrolle unterstützt.
Nach dieser Passage erreichten wir einen großen Raum, wo bereits
Sekt und eine Jause warteten, um unsere Höhlen-Premiere vor Ort
gebührend zu feiern.
Von der Halbzeithalle bot sich die Möglichkeit an, über einen
kurzen Abstecher wieder auf den Führungsweg zu gelangen. Aber Wunder
- alle wollten unsere Höhlenfahrt bis zum bitteren Ende durchziehen,
auch diejenigen, die vorher in der engen Kluft wie Rohrspatzen fluchten.
Jaa, wir sind die wahren Helden! Schon flogen die ersten Lehmballen
durch die Gegend und wurde jedem eine Kriegsbemalung aus Lehm verpasst,
bevor es durch den nächsten Schacht ging, der letzten Hürde
15 m senkrecht in die Höhe.
Die Hauptschwierigkeiten waren geschafft!
Jeder war erleichtert, denn nach der Schachthürde führte nur
noch leichtes Gelände bis zum Führungsweg, wo die Rollstühle
auf ihre Abenteuerhelden warteten.
Das gesamte Höhlenabenteuer dauerte etwa 4,5 Stunden, die Premiere
war also gelungen, das Tageslicht ohne Zwischenfälle und Verletzungen
wieder erreicht.
Sprüche
wie von Christoph: "So was Verrücktes hab' ich selbst als
Fußgänger nicht gemacht", von Kevin: "Das
war das Geilste, was ich jemals gemacht habe" oder Eckard:
"Grenzwertig, absolut Spitze!", machten die Runde.
Eines war allen gemeinsam: Jeder war stolz auf sich selbst.
Aufgrund des
Erfolges dieser Rolli-Alpinwoche werden wir uns wieder bemühen, ein
Rolli-Trekking zu organisieren. Geplant ist neben einem Rolli Alpin light
auch eine Rolli Kid's Trophy sowie einige RolliParaglidingWochenenden
für Handicaps.