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Iran – Demawend

September, 2009; Text/Bilder: Thomas Rambauske

Tag 7

Kaspisches Meer – Rineh ("Lager 1", 2040 m)

Der King
Der King von Rineh

Überfahrt nach Rineh (2040 m), dem letzten Dorf am Fuß des Demawend und Hoheitsgebiet von Massoud, dem "King von Rineh". Als Wohnstatt beziehen wir seinen "Palast", ein zweitstöckiges Haus mit allem, was das Herz begehrt (bis auf Betten).
Massoud ist ein besonders gewiefter Geschäftsmann, mehr ein Gauch, der sich vom Muli-Treiber zum Herrscher über den Demawend, oder vielleicht sogar über ganz Persien hochgearbeitet hat. Das wettergegerbte dürre Männchen mit seinem schlauen Blick und breiten Grinsen hat sich hier ein Monopol aufgebaut und es auf durchaus westliche Weise zu ansehnlichem Lebensstandard gebracht. Nichts läuft hier ohne ihn, überall hat er seine (kassierende) Hand im Spiel, von der Unterkunft für Touristen über Muli-Verleih bis hin zu Postkarten – der King von Rineh macht, organisiert, verkauft alles. Er ist der hier der Lokalpascha, der Hero.

Den Rest des Tages verwenden wir, um noch einiges Vorräte einzukaufen und einen Blick auf unseren Traumberg, den Demawend, zu erhaschen. Eine Wolkenhaube verhüllte allerdings sein Haupt – wie meist am späten Nachmittag.
Wir essen und übernachten – das hatten wir hier von allen Schlafarten noch nicht – am Boden der Massoud'schen Königspalastes.

Essen
Festliches Boden-Gelage im Palast des Kings ...

Tag 8

Rineh – Gusfandsara (3040 m) – Bargah e Sewom (4.200 m)

4 ½ Stunden, 1150 Hm

Gusfandsara
In Gusfandsara werden die Mulis bepackt. Und los geht's!

Gusfandsara
Über der Moschee von Gusfandsara raucht der Demawend.

 

 

 

 

 

 

 

 




 

Hütte
Die neue Hütte macht einen eher abweisenden Eindruck.

In der Hütte
Alles wartet auf den Startschuss ...

Während bei vielen anderen "Berge der Welt"-Reisen fast ausschließlich der Berg den Höhepunkt darstellt, verhält es im Iran anders. Der Demawend ist nur EINER von vielen Höhepunkten. Dennoch gilt nun ihm unsere volle Aufmerksamkeit, Honiglecken ist der Vulkan von der Höhe des Kilimanjaro keineswegs! Sogar Reinhold Messner ist im Jahre 1970 bei seinem Versuch, Irans Höchsten zu besteigen, aufgrund von widrigen Wetterverhältnissen gescheitert. Das schnell umschlagende Wetter und damit zusammenhängend die Kälte und Stürme gehören tatsächlich zu den Hauptkriterien einer Besteigung. Der Demawend ist also trotz geringster technischer Schwierigkeiten kein einfacher Wanderberg, sondern eine große konditionelle und hochalpine Herausforderung. Wie auch der klimatische Wechsel, den wir wieder vollzogen haben: Innerhalb von 2 Tagen von minus 28 auf 4.200 Meter, von +30° auf –15°! Das muss man mal aushalten!

Bei der Anfahrt bestaunen wir, wie sehr die rauchende Vulkanpyramide alle umliegenden Berge überragt. Aus dem Nichts wächst sie aus der ebenen Steppe bis zur Wolkendecke hoch, was ihn neben dem Kilimanjaro zu einem der höchsten freistehenden Berge der Welt macht: Fast 4.700 Meter beträgt der Höhenunterschied von seinem Fuß bis zum Gipfel, deutlich mehr als beim Mount Everest. Der bekannteste und meistbegangene Weg ist die Route von Süden her, wie wir sie gewählt haben.
Von Rineh bringt uns ein iranisches Cabrio nach Gusfandsara (3.040 m), dem eigentlichen Basislager mit einer kleinen Moschee. Hier werden die Maultiere – natürlich die des Kings – beladen, wir schultern unsere leichten Rucksäcke und gehen es an. Langsam versteht sich. Step by Step. Seeehr gemächlich. Der sanft geneigte, einfache Schuttpfad kommt uns dabei entgegen. Die einzige Forderung besteht darin, seinen Rhythmus beizuhalten, was bei den vielen entgegenkommenden Iranern nicht leicht ist. "Hallo, woher kommen Sie?" ... "Was gefällt Ihnen an unserem Land?" ... "Wie lange bleiben Sie?" …

Aufstieg
Über einen ausgetretenen Pfad geht mit vielen Iranern zusammen hoch.

Nach rund 4 ½ Stunden Geh- und einer Stunde Sprechzeit haben wir auf dem schmalen Plateau des Bargah e Sewom (4.200 m) die funkelnagelneue Hütte erreicht. Erst vor etwa zwei Monaten fertiggestellt, scheint sie jedoch schon wieder abgewohnt, die Türen schließen nicht, alles starrt vor Schmutz, durch die undichten Fenster zieht's. Wie überhaupt sie mit ihren steinernen, schwarz-grauen Innenwänden und schwachen, nackten Glückbirnen kalt und abweisend wirkt. Schade, dass wir keine Zelte mithaben, denn ein paar Schritte unter der Hütte bieten schmucke, penibel planierte Campingplätze eine viel romantischere und ruhigere Übernachtungsmöglichkeit mit Blick in die Tiefebene an. So müssen wir lange auf ein freies Zimmer warten. Um nicht zu frieren, marschiere ich ein Stück höher, genieße die Ruhe, schaue hinunter auf die sonnenüberflutete Ebene, während hier heroben Wolken und kalter Wind dem Tag ein vorzeitiges Ende bereiten. Im Sommer gilt hier meist die Regel, dass der Vormittag wolkenfrei bliebt, während es nachmittags schnell zuzieht. Also kommt es auch auf das richtige Timing an. In einer winzigen Kammer hat uns Imad eine wärmende Suppe zubereitet, mit klammen Fingern und dicht auf dicht gedrängt löffeln wir sie eher lustlos in uns hinein. Nein, hier in diesem Bunker bleibt fast nichts von jenem Expeditionsflair, wie er etwa dem Alam Kuh oder dem gar nicht so weit entfernten Ararat anhaftet. Wer die Wahl hat und sich ein wenig Bergidylle bewahren will, sollte sich unbedingt für das Zelt im Freien entscheiden – viel ungemütlicher kann's im Wigwam auch nicht werden, zumindest aber warm und kuschelig ist's dort …

Nach dem üblichen aufgeregten Gekrame und Gepacke für den morgigen Gipfeltag verkriechen wir uns schnell in die knarrenden Stockbetten eines kleinen, stickigen Zimmers, denn um 3 Uhr soll es bereits wieder raus und hoch gehen, also wenig Zeit, sich zu erholen.

Sonnenuntergang
Die Sonne ist bei Expeditionen auf die Berge der Welt stets besonders groß und schön ...

Tag 9

Demawend (5.671 m) – Gusfandsara 3.040 m)

Aufstieg 5 ½, Abstieg 3 ½ Stunden, 1.600 Hm

Frühstück
Frühstück im Bunker ...

Aufbruch
Die ersten Schritte sind die schwersten ...

Sonnenaufgang
Die aufgehende Sonne wirft den Schatten des Demawend über die Tiefebene ...

Aufstieg
Schnee, Schwefel und Steine bedecken den Boden. Knapp über uns der Gipfel ...

Vor dem Gipfel
Rauchschwaden markieren den höchsten Punkt ...

Gipfel
Gipfelfoto mit angehaltener Luft ...

Abstieg
1.600 Höhenmeter Abstieg – das zehrt an den Kräften.Der King und sein Maultier
Der King hat mit uns natürlich einiges verdient.

3 Uhr früh. Der heiße Tee, den uns Imad serviert, wärmt. Draußen ist es dank Vollmond fast taghell, nicht besonders kalt. Wir fühlen uns gut, sind uns unserer Sache sicher, freuen uns auf den Weg nach oben. Schweigsam, nur auf die Stimmen unseres Körpers hörend, ziehen wir hoch. In gar nicht weiter Ferne funkeln die Lichter Teherans und projiziert die aufgehende Sonne den pyramidenartigen Schatten des Demawend über die schlafende Tiefebene weit unter unseren Füßen. Wie immer auf den Bergen der Welt, wo man unmittelbar in die Morgendämmerung hineinwandert und die Verwandlung des Lichts so nah wie sonst nie erlebt, gehört das Erlebnis des erwachenden Tages zu den eindrücklichsten.

Sonnenaufgang
Das Erlebnis eines erwachenden Tages gehört auf 5.000 m zu den eindrücklichsten ...

Bis zum Gipfel geht es fast ausschließlich über Geröll, nur hin und wieder über kleine Schneefelder. Nach 4 ½ Stunden erreichen wir ein kleines Plateau, über dem auf einer kleinen Felsstufe der Gipfel zu erkennen ist. Der Boden ist vom Schwefel gelb gefärbt, selbst der Schnee sieht aus wie ein kandierter Tortenbezug.

Schwefel
Der Schnee sieht aus wie ein kandierter Tortenbezug.

Immer intensiver wird der an Chlor erinnernde Geruch. Scheinbar zum Greifen nah, dauert es jedoch noch eine weitere Stunde, ehe man ganz oben steht. Wir haben das Glück, den Demawend ohne Eis vorzufinden; im Normalfall sollte man sich aber darauf einstellen, dass der Gipfel nicht aper ist. Ein Felsblock, ein paar Inschriften, Fahnen und ein an den Felsen genageltes Ziegenskelett bezeichnen den Gipfel. Beeindruckend der Blick in den breiten Vulkankrater.

Krater
Blick in den Krater

Wir ringen nach Luft. Einerseits weil sie hier heroben naturgemäß schon sehr dünn ist, andererseits aufgrund der Schwefeldämpfe, die aus mehreren Löchern der Erde treten und vom Wind über das Gipfelplateau getrieben werden. Trifft uns ein Schwall voll, glauben wir daran zu ersticken. Da nützt auch kein Luftanhalten, kein Tuch, das man sich vor den Mund bindet. Eine Gipfeljause oder -zigarette hier heroben – unmöglich. Wir halten uns nicht lange auf, sondern treten nach der üblichen Foto-Orgie rasch den Rückzug an. Dieser führt nun etwas steiler durch das Kafar-Valley, einen äußerst steilen und anstrengenden Geröllhang, auf dem mehr abgerutscht als gegangen wird. Für manche eine Gaudi, für Gerald eine Qual. Er habe immense Schwierigkeiten auf Geröll, gesteht er mir, könne auf so einem Terrain kaum das Gleichgewicht halten, habe Kopfweh und es sei ihm übel. Die Höhe, der Schwefel, das Geröll – Gerald ist am absoluten Limit. Langsam, sehr langsam, und jeden Schritt mit äußerster Bedachtsamkeit setzend, tasten wir uns hinunter. Mit einer Stunde Verspätung langen wir bei der Hütte an. Kein Mensch wird nach der Zeit fragen, Hauptsache, wir waren oben, ganz oben.

Da wir nicht noch eine Nacht in dem kalten Bunker verbringen wollen, steigen wir gleich weiter ab nach Gusfandsara. Also weitere 1.150 m Abstiegs-Höhenmeter! Die ertragen wir angesichts eines Traumpanoramas und einer gemütlichen Nacht in der Villa Massoud von Rineh.

Nichts als Staub
Schuheputzen hoffnungslos ...

Tag 10

Rineh

 

 

 

 

 

 

 

Heiße Quellen
Gedünstete Bergfexe ...

Weil wir uns durch die Blitzexpedition einen Tag freigespielt haben, rasten wir in Rineh aus, besichtigen eine Schlucht, die einst als wichtige Handelsverbindung zwischen Teheran und Kaspischen Meer gedient hat, wie eine alte Felsschnitzerei und bewohnbare Felshöhlen unterstreichen.

Bildhauerei
Felsschnitzereien verraten, dass einst eine wichtige Handelsstraße an Rineh vorbeiführte ...

Weiters zeigt uns Imad einen beeindruckenden Wasserfall und führt uns zu den "Heißen Quellen", in dessen 86° heißem Wasser wir ein Bad an der Verbrühgrenze nehmen.
Am Abend dann ein Festessen, wie wir es hier noch nie erlebt haben: gegrilltes Chicken-Kebab mit Tomaten, Salat und – eh klar – Reis. Alle, sogar unser Fahrer und der King von Rineh, beteiligen an der Herstellung des Gaumenschmauses am Balkon der Massoud'schen Villa. Da glüht, qualmt und duftet es nach Persien. Ein würdiges Gala-Dinner zur Feier unseres Gipfelerfolges. Zum vollständigen Glück fehlt nur das Bier ...

Grillen
Alle, sogar unser Fahrer (rechts) und der King von Rineh, beteiligen an der Herstellung des Gaumenschmauses.

Tag 11

Rineh – Teheran

Demawend
Letzter Blick auf den Demawend

Wegweiser
Wieder zurück in Teheran

Platz
Der bekannte Azadi-Turm im Zentrum von Teheran

 

Schuhputzer
Ein Schuhputzer wartet auf Kunden

 

Abendessen
Die Gastfreundschaft der Iraner beeindruckt

Wer nun denkt, der anstrengende Teil der Reise sei vorbei, irrt gewaltig. Er beginnt erst! Der nun folgende Kultur-Marathon verlangt sogar mehr an Kondition und Steherqualität als für den Marsch zum Demawend-Gipfel. Es lohnt sich aber! Was wir in den folgenden Tagen zu sehen bekommen, raubt einem in ähnlicher Weise den Atem wie die Schwefelschwaden am Gipfel des Demawend.
Nur kurz dauert der Transfer in die nahe Hauptstadt Teheran. Bevor wir noch im Hotel einchecken, besichtigen wir den prunkvollen Saadabad-Palastkomplex, eine Sommerresidenz des letzten Schah Mohammad Reza Pahlavi. Auf dem Areal mit einer Fläche von 410 Hektar befinden sich mehrere Paläste, Sportanlagen, Kinosäle, ein Flugplatz und sogar ein Behandlungszimmer für den Zahnarzt. Im größten Gebäude, dem Weißen Palast, fanden die Zeremonien und Empfänge statt. Auch in den anderen Palästen beeindruckt der Prunk: Im gesamten Palastareal sind Fußböden und Treppen aus edelstem Marmor verkleidet, für die riesigen Hallen und Säle ließ der Shah kostbare Teppiche anfertigen und aus Böhmen, Italien und Frankreich prachtvolle Glasluster einführen. Die Stuckarbeiten, Spiegelmosaike, Wandbehänge und Intarsienpaneelen sind ausschließlich traditionelle persische Handarbeiten. In all dem Prunk wird verständlich, weshalb das Volk gegen ihn aufbegehrte und ihn zu Sturz brachte: Während die Bevölkerung in Armut darbte, umgab sich der Shah mit protzerischem Luxus. Das konnte auf Dauer nicht gutgehen.
Heute geht es einem großen Teil der Iraner besser. Dass sich vor allem die Jungen längst wieder an westlichen Verhältnissen und Gewohnheiten orientieren, erfahren wir abends in der Wohnung von Imad. Wüsste man nicht, dass sie in einem der obersten Stockwerke eines Teheraner Wohngebäudes liegt, hielte man sie glatt für eine normale Wohnstatt aus Wien oder Frankfurt. Großbildfernseher mit Satellitenempfang, perfekt und modernst eingerichtete Küche, Sitzlandschaft, aus den Lautsprechern einer Hifi-Anlage ein Konzert von Iran Maden – und zwei Toiletten: ein iranisches Hock- und ein europäisches Sitz-WC. Und wieder diese herzliche Gastfreundschaft! Obwohl die Miete – ähnlich wie bei uns – teuer bis unerschwinglich ist, servieren Imad und seine Frau Köstlichkeiten ohne Ende. Mit dabei ein älterer Herr mit seinem Sohn, die Imad im Foltergefängnis Evin kennengelernt hat. 10 Tage saßen sie alle dort ein, nur weil sie an einer Demonstration gegen die Regierung teilgenommen hatten. Der Vater weiß eine besondere Geschichte zu erzählen: Als er hörte, dass sein Sohn in Evin gelandet war, machte er sich auf den Weg dorthin, um sich freiwillig inhaftieren zu lassen. Mit verbundenen Augen, wenig Essen und Trinken, harrten sie dort ihrer Freilassung und befreundeten sich mit anderen Mitgefangenen. Allein diese Geschichte sagt mehr aus über die politischen Verhältnisse, über den Mangel an Menschenrechten und Gerechtigkeit, und über die willkürliche Handhabung von Rechten und Gesetzen als jeder politische Exkurs. Der Sohn indes erzählt uns in perfektem Englisch von seinem Studium in Holland, von seinen Zukunftträumen, die er wohl im Iran nicht wird verwirklichen können, von seinem Zorn gegenüber dem Regime, von der Hoffnungslosigkeit eines großen Teils der Bevölkerung. Wieder diese Diskrepanz zwischen der rückwärts denkenden Geistlichkeit und der vorwärts strebenden Jugend. Das kann auf Dauer nicht gut gehen.