Beamte
Nr. 4-10 ... (eine riskante, weil verbotene Aufnahme)
Abschied
vonTachmina
13
Stunden Fahrzeit heute! Die Straßen werden zusehends schlechter
und verwandeln sich am Tourugart Pass in ein einziges Schlagloch.
Unsere Belastbarkeitsgrenze ist längst erreicht. Die Landschaft wird
trockener, wilder, zerklüfteter. Am Pass schneit es, der Himmel weint
- wir nehmen Abschied von Tachmina (keine Angst, wir werden sie
bei der Rückreise wiedersehen!), werden an den Boss der VK-Verbindungsagentur,
Kong Bacoun (auch genannt "King Kong") weitergereicht,
der uns wieder an Ken, den chinesischen Babysitter, übergibt.
Mit einem komfortableren Bus geht es nun wieder bergab, einer endlosen
Kolonne von Schrotttransportern nach.
Mao in Las Vegas
An
der chinesischen Grenze kommt, was kommen musste:Beamter Nr.1
inspiziert den Bus, Beamter Nr. 2 deutet uns herauszukommen - mit Handgepäck,
Beamter Nr. 3 befiehlt uns, es zu öffnen, Beamte Nr. 4-10 kontrollieren
selbst Zahnpastatuben und Pillendosen (Vorsicht! Man sucht nach anti-kommunistischem
Propaganda-Material - also etwaige Mao-Comics zu Hause lassen!), Beamter
Nr.11 kontrolliert unsere Pässe, Beamter Nr.12 kontrolliert, ob Beamter
Nr.11 gut kontrolliert hat, Nr.13 kontrolliert, ob Nr.12 Nr.11 gut kontrolliert
hat, Beamter Nr. 248 kontrolliert ... - Tachmiiiiiina, Hiiiilfeee!
Wir
lernten China erstmals von seiner gastfreundlichsten Seite kennen
und stünden wohl heute noch dort, wenn Beamter Nr. 4523 nicht krank
gewesen wäre ...
Als
wir in Kashgar einfahren, wähnen wir uns im ersten Augenblick
in Las Vegas - Leuchtschriften und blinkende Reklameschilder, wohin man
schaut, Marlboro, Sony und Nokia, tolle Autos und Geschäfte - und
das mitten in China!
In
Wahrheit ist Kashgar ein uralter, aber reicher Handelsknotenpunkt,
der, an der Seidenstraße gelegen, seit jeher Geschäfte
mit angrenzenden Ländern betreibt. Auch das Hotel "Kashgar",
in dem wir logieren, spielt alle Stückerl: Dusche, Fernseher, WC,
Telefon, nur Strom gibt es keinen, als wir eintreffen (Kein Strom in Las
Vegas? Stromrechnung nicht bezahlt? Wahrscheinlich Beamter Nr. 4523 ...).
Erst
auf der Rückreise wird Zeit sein für den berühmten Sonntagsmarkt,
einen der größten Basare der Welt.
Welch
ein Erlebnis!
Von
Nah und Fern strömen sie herbei, Händler und Geschäftsreisende,
Marketender und Bauern, Künstler und Handwerker, Menschen aller Couleur,
und jeder träumt vom guten Geschäft. Welch ein Erlebnis, durch
dieses Gewirr von Lauten und Stimmen, Düften und Farben zu schwimmen,
sich treiben zu lassen durch die Gassen der Handwerker und Künstler,
der Gemüsehändler und Gourmetköche. Hei, da wird auf offener
Straße gefeiert, gefeilscht und gegessen, Friseure rasieren Bauernköpfe
zwischen Bergen von Melonen, Schuster reparieren zerlaufene Latschen neben
rauchenden Schaschlik-Bars, Kinder tollen um die Buden der Spaghetti-Dreher.
Wie
eine Arterie durchzieht dieser Basar die Stadt, pulsiert, scheint ihr für
einen Tag jenes Leben zu verleihen, das ihr unter der Woche fehlt, wenn
die chinesische Strenge wieder um sich greift.
Tag
5
Kashgar
- Kara Kul-See (3750m)
Er
... ER!
Noch
ist die Anreise nicht zu Ende! Um uns langsam auf die Höhe des Basislagers
einzustellen (4450m), bleiben wir noch für eine Nacht im "Tal",
am Kara Kul-See auf 3750m Seehöhe (Großglocknerhöhe!).
Sechs
Stunden sind wir durch abenteuerliche Schluchten und Klammen gefahren.
Sandsteinartige Wände bauen sich da über unseren Köpfen
auf, drohen jeden Augenblick zusammenzubrechen und uns unter sich zu begraben.
Manche Felsen ragen so steil über die Straßen empor, dass wir
uns manchmal wegducken aus Angst, dass uns ein Stein trifft. Entlang der
Straße ein schäumender, kaum zu bändigender Fluss, der
Moshi, in der Ferne schon die ersten Gletscher.
Über
dem Kara Kul-See endlich - mächtig, zerklüftet, wolkenverhangen
- unser Ziel:
der Mustagh Ata -
Wir
können es kaum erwarten, die ersten Schritte in seinen Schnee zu
setzen.
Vorerst
aber noch eine letzte Nacht in Jurten, die Angst, dass wir es diesmal
mit Läusen oder Flöhen zu tun bekommen, bleibt unbegründet.
Ein letztes Mal für zwei Wochen essen wir uns im Restaurant am Ufer
des Sees ordentlich satt (und rauben sogar die Tische appetitloser Gäste
leer) und stoßen auf die kommenden Ereignisse an - mit kirgisischem
Rotwein (picksüßes Zeug, ungenießbar).
Tag
6
Kara
Kul-See (3750m) -
Shubash
- Basislager Mustagh Ata (4450m)
GZ:
3 Stunden
Billard
im letzten Winkel der Welt ...
Die
erste Etappe in Richtung L1
It's
donkey time!
Nach
rund 6 Tagen Anreise erreichen wir heute das Ziel unserer Träume:
Den Fuß des Mustagh Ata. Zunächst per Bus zu einer kleinen
Siedlung namens Shubash. Dort kommt es zu einem selten amüsanten
Schauspiel, das uns allerdings fast zwei Stunden kostet: Die Beladung
der Lastkamele mit unserem Expeditions-Equipment. Bei der Zuordnung
der Lasten und dem Ausverhandeln der Transportkosten kommt es naturgemäß
zu Streitigkeiten, diesmal jedoch zu so heftigen, dass eine Assistentin
der VK-Agentur einen Nervenzusammenbruch erleidet und Ken, unser chinesischer
Babysitter, die Feilscherei mit den Worten "It's donkey time!"
aufgibt. Zeit der Esel ...
Mit
den je mit 100 Kilogramm beladenen Tieren schlendern wir einen Trampelpfad
durch eine karge Steppenlandschaft bergan. Ich habe den Fehler begangen,
meine Bergschuhe zu Hause zu lassen und latsche mit Skischuhen durch die
Wüste - it's Blasen time!
Nach
drei Stunden erreichen wir das Basislager (4450m), das in einer
Mulde zwischen Jambulak- und Taschal-Tumak-Gletscher liegt.Sergeij und Sascha, zwei russische Brüder
und hervorragende Bergsteiger, weitgereist, studiert und trinkfest, empfangen
uns äußerst freundlich und werden uns die nächsten zwei
Wochen bekochen und bevatern.
Hilfsbereit
weisen sie uns in große, notdürftig geflickte Zwei-Mann-Zelte
ein, ein Sturm habe sie gestern entführt und zerfetzt, berichten
sie uns.
Basislager:
No good messages ...
Apropos
Sturm: Die ersten Meldungen, die wir vom Berg empfangen, hören
sich nicht gut an: Es habe in den letzten vier Wochen nur ein einziges
5-tägiges Schönwetterfenster gegeben, demzufolge sei nur wenigen
der Gipfelgang gelungen, zudem gelte ein Chinese als vermisst, seit er
zum letzten Mal in der Gipfelgegend gesichtet worden sei. No good
messages ...
Das
Basislager selbst sehr karg eingerichtet: Keine WCs, wohl aber
sehr hübsche, große Steine mit schöner Aussicht; keine
Duschen, aber frisches Fließwasser; ein Essenszelt für Kunden
des Verkehrsbüros und ein Bach, der das Lager durchfließt -
ach ja, einen Billardtisch gibt es, mit dem sich die Kirgisen vergnügen,
und jede Menge Murmeltiere.
Der
Grund für die miserable Organisation des Basislagers
liegt darin, dass hier chinesische, russische, kirgisische
und usbekische Gruppen auf engstem Raum zusammen leben, ein Eintopf
von Kulturen und Volksgruppen, die sich noch nie schmecken konnten. Man
verträgt sich, aber die Initiative ergreift niemand, erzählt
uns Sergeij, wo doch aus dem Lager eine Goldgrube gemacht werden könnte
mit Postkarten- und Spirituosenverkauf, mit Duschen gegen Entgeld, Gaskartuschen,
Benzin, Satellitentelefon und und und. So lebt man eben nebeneinander
her, zwischen den Lagern stinkende Müllhalden und feindseliger Argwohn.
Die
Verpflegung ist für diese Verhältnisse ausgezeichnet.
Saschas Eintöpfe (meistens Kartoffeln/Reis/Teigwaren/Yackfleisch)
beginnen uns bald zu schmecken, die Suppen verdienen sowieso fünf
Hauben. Um
unsere Köche für uns zu erwärmen und ihre Künste noch
mehr anzufachen, stecken wir ihnen schon anfangs ordentlich Trinkgeld
zu. Prompt tauchen zum üblichen grünen Tee auch chinesisches
Bier (ein grauenhaftes Gesöff - die Steirer baden dennoch darin),
Wodka, russischer "Cognac", Schokoladecreme und frische Äpfel
auf.
Gut
sichtbar Lager 1 und der Gletscherbruch hoch über unseren
Köpfen, unter uns die wüstenartige Steppenlandschaft
- ein faszinierender, farbenprächtiger Gegensatz, der allerdings
auch für das unberechenbareMikroklima hier verantwortlich
zeichnet.
So
- wer die Anreise überlebt hat, muss gut in Form sein und kann optimistisch
die Tourbeginnen.