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Papageno
am Mount Wo-bin-i

(Donnerwand über Hoch und Klein Waxeneck, 1799m, Schneealpe, Mürztaler Alpen, 2/2002)

Wo bin i?

Erlebt und beschrieben von Thomas Rambauske

Warnung des EU-Gesundheitsministers: Verirren gefährdet die Gesundheit!

V o r b e m e r k u n g

Du kennst das: Vor Jahren hat man eine Tour unternommen und glaubt, sie noch so gut in Erinnerung zu haben, dass man ohne viel Aufwand darauf losgehen, dem Gefühl folgen und gleichsam blind zum Ziel gelangen könne. Außerdem hält man sich für einen Superalpinisten und die, die dir die Spur legen oder vor dir herstapfen für die noch besseren.

So geschehen am 2.2.2002, als ich den Windberg auf der Schneealpe über die Kleine Bodenalm besteigen wollte. Eine Tour, wie ich sie schon vor rund sieben Jahren unternommen hatte und von der ich meinte, sie aus dem Gedächtnis heraus meistern zu können. Doch, doch, Karte hatte ich schon dabei, zugegeben nicht die aktuellste, aber immerhin mit dem K. u. K. - Gütesiegel der Kaiserlich-Königlichen Hofkanzlei für "Bergfahrtsangelegenheiten" anno 1904.

Rein also ins Kalte Mürz-Tal bei Frein, am nächstbesten Parkplatz bei einer Brücke Halt gemacht, weil da rege Vorbereitungsaktivitäten stattfinden, massenhaft ortskundige Leute, alles hervorragende Alpinisten, wie ich meine, die genau wissen, wohin sie wollen und wie sie wohin wollen. Sämtlich ausgestattet mit Lawinenpieps, Airbag und Lawinen-Tauchausrüstung - Bergsteiger wie aus dem Bilderbuch. Einer trägt ein Kapperl mit der Aufschrift "Freiwillige Feuerwehr Oberhautzendorf", ein anderer eine Sonnenbrille mit Nasenschnabel und schließlich Papageno - "Pa-pa-pa, pa-pa-pa, papageno..." - wie eben der "Zauberflöte" entstiegen: knallbuntes Kostüm, zwölfquastige Gockelmütze und ein Grinsen, als luge hinter jedem Baum Papagena leibhaftig hervor - verdammt gute Bergsteiger also, ich bin nicht allein, kann mich ihnen an die Fersen hängen, bin frei von jedweder Denk- und Orientierungsarbeit.

Wohin es denn gehe, frage ich sicherheitshalber die Freiwillige Feuerwehr Oberhautzendorf. "Auf den Windberg natürlich", antwortet die mit der Sicherheit eines geflickten Wasserschlauches. "Aber immer links halten!", wirft Papageno dazwischen und das Schnabeltier nickt wissend dazu. Was soll da passieren? Die kennen den Weg genau - Windberg, ich komme!


Aufstieg

3,5 Stunden

Wir brechen im Konvoi auf, folgen rechtshaltend einer Forststraße, biegen gleich links ab auf eine Lichtung, um schließlich durch steilen Schlagwald und ein Spalier grässlicher Baumgerippe bergan zu schnaufen ... Laut K. u. K. - Gütesiegelführer sollte es sich hier eigentlich um einen "ausgedehnten, landschaftlich sehr schönen" Aufstieg entlang eines "rauschenden Baches" handeln, aber "ausgedehnt" ist da nur die Steilheit, von "Landschaft" keine Rede und das einzige, was hier "rauscht", ist die Lunge der Freiwilligen Feuerwehr Oberhautzendorf. Ob er sich seiner Sache sicher sei, frage ich Papageno - "Immer links halten, immer links!", und das Schnabeltier nickt wissend dazu. Es muss ein Geheimweg sein, eine Insider-Tour, denke ich mir, die nur Papageno und die Freiwillige Feuerwehr kennen.

Der Wald kreuzt nach etwa 200 Höhenmetern eine Forststraße. Links oder rechts? "Links, immer links halten!" Nicken, links, weiter.

Ich hätte längst stutzig werden sollen, als ich bemerke, dass sich die Gruppe nie trennt. Statt das eigene Tempo zu gehen, wartet der eine lauernd auf den anderen; wenn Papageno steht, steht auch das Schnabeltier, wenn ich mich zum notdürftigen Geschäft in die Büsche verziehe, schlägt sich auch die Freiwillige Feuerwehr dorthin, sogar geflucht wird in Dolby Surround - es scheinen uns geheimnisvolle Fäden zu verbinden - aus welchem Grund auch immer.

Nach der Forststraße wird der steile Wald noch steiler, das laut K. u. K.- Gütesiegelführer "flache" Wegstück winkelt sich bis 90°, der eisige Boden wird noch eisiger, die besagte "weite Almfläche" müssen die Türken weggesprengt haben. Durch lichter werdenden Hochwald an die Waldgrenze, aaah, jetzt müssten wir doch bald den Windberg sehen, rufe ich den anderen zu. Ja, ja, er müsste bald auftauchen. Was wir allerdings zu sehen bekommen, ist rechts ein kleines Gedenkkreuz (wahrscheinlich zur Erinnerung an die vielen Blindgänger, die hier zugrunde gegangen sind), sonst nichts. Kein Windberg, kein Gipfelkreuz, nichts.

"Links, immer links!" Wissend nickend stapfen wir einen freien Westkamm entlang, hinter dieser Erhebung muss er liegen ... Error, Endstation, Game over ... Keine Ahnung, wo wir sind. Stille, bis die Freiwillige Feuerwehr Oberhautzendorf murmelt: "Seltsam, früher stand hier der Windberg, ich weiß es bestimmt, genau hier!" und das Schnabeltier meint: "Irgend etwas stimmt hier nicht, mein Höhenmesser zeigt viel zu wenig an - koreanischer Kummunistenmüll!" Papageno: "Wir hätten uns von Anfang an eher rechts halten sollen!" Wir nicken und vergraben ihn tief in einer Wächte.

Die letzten Meter zum Mount Wo-bin-i ...

Weil wir in weiter Ferne ein Gipfelkreuz sehen (der Windberg!!??), fahren wir in eine Senke ab, um neu anzufellen und wieder etwa 150 Höhenmeter hochzustapfen bis zu einem Steinmandl. Frohgestimmt und siegessicher folgen wir einem NO-Kamm, bis wir endlich das Gipfelkreuz vor uns sehen. Ein Pärchen sitzt dort mit dem Grazer Wappen am Anorak: zwei von der steirischen Narrengilde also - Superalpinisten. Als wir sie begrüßen, lautet ihre schüchtern gehauchte Frage: "Auf welchem Berg stehen wir hier eigentlich?" "Auf dem Windberg natürlich!!!", röhren wir im Chor. "Das gibt es nicht! Der Nachbarberg ist um vieles höher als der hier, also kann er es nicht sein!", verbessern uns die Grazer. Tatsächlich - frech, beinahe überheblich baut sich ein anderer Berg vor aus auf und scheint uns höhnisch zuzurufen: "Ha, ha, wieder ein paar Affen, die am falschen Gipfel sitzen und fassungslos herüberglotzen". Wie kann das sein? Ist unser Windberg geschrumpft oder hat man ihn zu Gunsten des Nulldefizits wegrationalisiert? Ein Blick auf die K. u. K. - Gütesiegelkarte gibt keinerlei Auskunft über einen bekreuzten Gipfel in der Nähe unseres Sehnsuchtsberges - es wundert mich nicht, dass die Monarchie so kläglich scheiterte.

Da nähert sich ein anderes Duo dem Gipfel: Riesenfotoapparate um den Bauch, Fuji-Hüte am Kopf, kalkweiß im Gesicht. Japaner. Mit hämischer Vorfreude ruft ihnen Papageno zu: "He! Sucht ihr den Stephansplatz? Hö-hö, ha-ha, habt ihr überhaupt eine Ahnung, wo ihr seid?"

"Auf der Donnerwand, 1799m, 15°35,762' östlich von Greenwich."

Das Schweigen der Lämmer kann schweigsamer nicht sein.

Und sie kämen geradewegs vom Windberg, der aber vollkommen abgeblasen und also unmöglich zu befahren sei.

Uns ist, als seien wir statt auf dem Everest am Mount Wo-bin-i oder statt in St. Moritz auf dem Hauptplatz von Kabul gelandet. Die Freiwillige Feuerwehr beginnt zu brüllen, als befände sie sich mitten in einem Großbrand, die Grazer reißen sich die Wappen von der Brust, Papageno weint bitterlich, schon einmal habe er versucht, den Windberg zu besteigen, seufzt er, und sei auf der Lachalpe gelandet, immer links habe es geheißen, immer links. Wir beschließen eine Windberg-Expedition auf die Beine zu stellen mit modernstem Satelliten-Navigations- und Anti-Verirr-System, japanischen Bergführern sowie einer Staffel bestausgebildeter Blindenhunde.

Gipfel der Donnerwand, im Hintergrund der Windberg

Trotzdem, stellen wir übereinstimmend fest, sei diese Tour ein tolles Erlebnis gewesen, da wir auf einem Gipfel gestrandet sind, der zwar nicht der war, der er sein sollte, sich aber letztendlich doch als der richtige erwies.

Und außerdem klingt "Donnerwand" sowieso besser als "Windberg".


Abfahrt

1,5 Stunden

Nun, werte(r) Leser(in), werde ich die Abfahrt (= Aufstiegsweg) nun dazu benützen, die Route zu erklären, wie ich sie zu Hause an Hand aktueller Karten rekonstruiert habe:

  • Vom Gipfel der Donnerwand über den NO-Kamm zum Klein Waxeneck (Steinmandl, 1682m), abfellen;
  • Abfahrt in den Taber Sattel (ca. 130 Hm), anfellen;
  • den Pflöcken eines Sommergatters folgend zum Hoch Waxeneck (1647m);
  • über den W-Kamm an einem kleinen Gedenkkreuz vorbei bis knapp vor ein anderes (Gedenk-)Kreuz, nun rechtshaltend (nicht links!!!) über die anfangs freie Fläche der Hohen Schneid, dann durch Schlagwald und Lichtungen hinunter, hinunter, hinunter, bis die Wadeln brennen.
  • Lichtung, wenige Meter über Forststraße, Parkplatz. Ende der Odyssee.

Tipps

Für den Aufstieg auf den Windberg über die Kleine Bodenalm sollte man noch ein Stück taleinwärts fahren bis zum ehemaligen Gasthof Leitner am Ende der Fahrmöglichkeit.

Die hier beschriebene, mittelschwere Tour ist ob ihrer Steilheit und konditionellen Anforderungen nicht auf die leichte Schulter zu nehmen. Hält man sich für einen erfahrenen Alpinisten, sollte man sie lieber bleiben lassen.

Harscheisen nicht vergessen!

Der Weg ist nicht markiert, Verirren leicht möglich, man sollte sich lieber nicht einer erfahrenen Gruppe wie der oben beschriebenen anschließen.

Starke Wächtenbildung an den S-Hängen der Kämme!

Warnung:
Diese Tour sowie deren Vorbereitung und Durchführung werden nicht zur Nachahmung empfohlen!

Gesamtzeit:
ca. 5 Stunden
Höhenmeter:
ca. 1000 Hm
Einkehr:

Keine