Neun
Anden-Sechstausender in 18 Tagen und Rekordzeiten. Ruhepuls 37 auf 5.300
m. Aconcagua in 4.25 Stunden vom Basislager bis zum Gipfel. Ziel: in
24 Stunden auf den Achttausender Dhaulagiri und retour, Everest-Lhotse
Überschreitung. Beruf: Skyrunner. Name: Christian Stangl. Er hat
jene Berg-Disziplin entdeckt, in der heute noch Herausforderungen möglich
sind - und Rekorde.
Der
Anfang
1991,
vor seiner Zeit als Skyrunner, wäre für Christian Stangl
beinahe das letzte Lebensjahr gewesen: Im Karakorum überraschte
ihn eine Lawine im Schlaf, zum Glück bedeckt ihn und seinen Weggefährten
nur ein halber Meter Schnee. In Todesangst und mit gebrochenem Oberschenkel
kriecht Stangl ins Freie, sein Kamerad seilt ihn ab und lässt ihn
im Basislager zurück, um Hilfe zu holen. Drei zufällig vorbeikommende
Trekker bringen den Schwerverletzten auf einer improvisierten Tragbahre
ins Tal. Nach elf Tagen (!) mit schier unerträglichen Schmerzen
landet er endlich im nächst gelegenen Krankenhaus.
Geboren
in Landl im Steiermärkischen Gesäuse, nahm Vater Stangl den
Kleinen im zarten Alter von zwei Jahren auf den ersten Berg mit. Mit
14 dann die ersten Bergwandertouren, mit 18 die ersten Berge im Alleingang.
Danach folgten zahllose Berggipfel, Überquerungen und 1998 als
Krönung seiner Alpinerfahrung die Südwand der Shisha Pangma
(Zentralclouloir/Britenroute von 1982), die er als erster Mensch solo
begeht und 2001 die Solo Erstbegehung der Nordwand des Cho Oyu
im Alpinstil.
Vor ein
paar Jahren entdeckte Stangl sein spezielles Talent. Wo andere schlapp
machen, kommt der Admonter erst so richtig auf Touren: In extremen Höhen
kann er seinen Bewegungsdrang kaum bremsen, muss einfach laufen.
Ein Sportarzt wollte seinen Augen nicht trauen, als er Stangl untersuchte.
Unglaubliche anaerobe Werte und einen Ruhepuls von 37 nach Akklimatisierung
auf 5.300 Metern! Ideale Werte für einen Ausdauersportler, der
sich in großen Höhen herumtreibt. Und die verträgt Stangl
blendend: "Bei den meisten beginnt die Todeszone bei 7.800 Metern,
bei mir wahrscheinlich erst bei 8.200", so Stangl.
Wo
andere schlapp machen, kommt der Admonter erst so richtig auf Touren.
2002
lässt Stangl seinen erlernten Beruf als technischer Angestellter
sausen und startet als Vollprofi in der Disziplin "Skyrunning"
durch. Skyrunning (= Solo-Berglauf mit minimalster Ausrüstung,
auf der schnellsten Route im Laufstil vom Basislager bis zum Gipfel)
hört sich einfach an, ist es aber nicht. Denn auf die Berge gibt
es meistens keine Laufpisten. Stangls muss seine Routen meist durch
ewiges Eis, Hänge mit 40 Grad Steigung, über Eisspalten, Geröllhänge
mit Steinschlag legen, und das in Laufhose und leichten Bergschuhen.
Seine letzte "Schandtat", wie er das nennt: die neun
Sechstausender in den Anden mit neun Rekordzeiten innerhalb von 18 Tagen.
Das
Training
Ohne Vorbereitung
geht nichts im Skyrunning. "Ich bereite mich immer akribisch
vor, studiere Karten, hole Meinungen ein. Ich bin kein Lebensmüder,
der von der Zivilisation die Nase voll hat. Ich will an meine Grenzen
gehen und Höchstleistungen bringen. Ich sehe mich eher in Verwandtschaft
zu den Spitzensportlern, die etwa den Ironman in Hawaii bestreiten und
nicht so sehr mit den klassischen Bergsteigern. Obwohl ich natürlich
meine Alpinerfahrung immer nutze, wenn ich einen Skyrun mache. Dennoch:
Mein Ansatz ist ein sportlicher, kein alpiner", so Stangl über
seine Motivation.
Einen
40-Kilo-Traktorreifen umgebunden, schindet er sich die Abhänge
hinauf.
Dazu
gehört auch das Training. Einen "normalen" Berg hinauf
zu joggen reicht Stangl schon lange nicht mehr, um seinen drahtigen
Körper in Form zu bringen. Einen 40-Kilo-Traktorreifen umgebunden,
schindet er sich die Abhänge hinauf. Um die Ausdauer zu erhöhen,
fährt er mit dem Fahrrad mal in 21 Tagen von Admont nach Gibraltar.
Oder umrundet so zum Spaß in 16 Stunden am Stück seine Heimat
den Nationalpark Gesäuse, 69 Kilometer und 11.600 Höhenmeter,
Kletterpassagen in Turnschuhen inklusive.
Mr.
Skyrun
Privat
ist der Extremsportler eher von der ruhigen Sorte. Er redet nicht viel,
kommt schnell auf den Punkt. Dem Leben zugetan schätzt er ein gutes
Glas Rotwein, kann tagelang - wer würde es ihm verdenken - rumliegen,
so es die Zeit erlaubt. Die wird durch diverse Sponsorentermine, Trainingseinheiten
und Journalistenanfragen jedoch immer knapper: Die "Marke"
des Mr. Skyrun entwickelt sich. Um sich voll aufs Training und die 2004er
Dhaulagiri-Expedition konzentrieren zu können, hat er seine Marketing-
und PR-Angelegenheiten in die Hände der deutsch-österreichischen
Kommunikationsagentur Wilkom gegeben. "Wir werden weitere Sponsoren
für Christian Stangl finden, ihm die Resonanz verschaffen, die
er sich wünscht, damit er die Zeit hat für weitere sensationelle
Rekorde", so der Chef von Wilkom Dr. Ernst Wilde.
Ich bin kein Lebensmüder, der von der Zivilisation die Nase
voll hat. Ich will an meine Grenzen gehen.
Neun Sechstausender
in 18 Tagen - und das in Spitzenzeiten! Einmal gingen sich sogar zwei
Berggipfel an einem Tag aus: die des Cerro Acotango (6.040 m)
und des Volcan Guallatiri (6.052m). Zuerst in knapp vier Stunden
auf den Acotango, vorbei an Geröllhalden, weiter oben eine "kleine"
Steigung mit 40 Grad Neigung, über ein Eisfeld, wieder im Schweinsgalopp
hinab und gegenüber auf den nächsten Berg, in vier Stunden
hinauf, Siegerfoto und bergab ins Basislager. Insgesamt unglaubliche
elf Stunden und 27 Minuten und 4.500 Höhenmeter.
Hinterher
befragt, ob das noch Spaß mache, der 37jährige Stangl: "Es
geht um die sportliche Höchstleistung. Fragen Sie mal einen Marathonläufer,
ob Ihm das Spaß macht. Wenn er gewinnt sicher. Ich habe neun Speedrekorde
in den Anden aufgestellt. Ganz genau weiß ich das nicht, da es
für die Mehrzahl der Berge keine richtigen Zeiten gibt."
Besonders
stolz ist Stangl auf seine "Königsetappe": den Illimani,
höchster Berg Boliviens mit 6.439 Metern. Den bezwang Stangl in
drei Stunden 43 Minuten. Logisch, dass niemand Stangl diese Leistung
vor Ort abnahm.
Zum "Eingewöhnen" joggte Stangl in seiner ersten Andenwoche
mit vier Lauf-Rekorden los: Die Sechstausender Volcan San Pedro,
den Aucanquilcha, den Cerro Parinacota und den Cerro
Pomerape mussten sich dem Skyrunner geschlagen geben. Und dazwischen
noch zwei weitere, nicht gewertete Sechstausender, speziell für
die Dreharbeiten des "Jogging-High"-Films. Denn Kamaramann
Raimund Reiter aus Graz konnte nicht immer auf die Sechstausender "vorlaufen",
war auf "Drehbuchaufnahmen" angewiesen. Herausgekommen ist
dabei der 20-Minuten Film "Jogging High - Skyrunning in den
Anden", der unter großen Beifall des Publikums der Öffentlichkeit
präsentiert wurde. Der Film ist das Erstlingswerk von Sportstudent
und Filmer Reiter.
Bei den meisten beginnt die Todeszone bei 7.800 Metern, bei mir wahrscheinlich
erst bei 8.200.
Der
Run seines Lebens - in 16 Stunden auf den Everest
Am 25.
Mai legt der Steirer schließlich den "Run" seines Lebens
in den Schnee des Everest und läuft vom 6400 Meter hoch gelegenen
Basislager auf der chinesischen Nordseite des Giganten in unglaublichen
16 Stunden und 42 Minuten auf den mit 8848 Metern höchsten Punkt
der Erde. Für den Weg zurück brauchte er nur sechs Stunden.
"Ich
habe das Basislager um 17 Uhr verlassen. Die Bedingungen waren gut",
so der "Skyrunner" zum "Run" seines
Lebens. "Ich nahm nur einen Skistock mit, Salzkekse, etwa zum
Trinken und Kohlehydratgel". Stangl verzichtete bei seinem
Rekordlauf auch auf jede wie auch immer geartete Hilfestellung - keine
Träger, keine Wegbereiter, keine Funkgeräte, "denn
ich möchte keine Rennstrecken auf den Bergen." Schließlich
sind für Stangl Berge schon von Natur aus zum Laufen da. Unterwegs
lief es wie geschmiert, Stangl lief im wahrsten Sinne des Wortes zur
Höchstform auf: "Mein Körper arbeitete perfekt. Richtige
Renn-Euphorie kam auf." Ein paar Fotos zum Beweis des Gipfelsturms
- um nach drei Minuten wieder abwärts zu laufen.
Mein
Körper arbeitete perfekt. Richtige Renn-Euphorie kam auf.
Auf 7500
Metern fing es an zu schneien. "Der Nordrücken wurde so
zur Rutschbahn." Stangl klammerte sich an die Fixseile, rutschte
am Hosenboden talwärts - und sparte so Zeit und Energie. Als er
nach 6 Stunden ins Basislager zurückkam, "haben der Koch
und der Küchenboy laut gelacht. Ich war ja nur einen Tag weg und
habe ihnen gesagt, dass ich inzwischen auf dem Gipfel war."
Sie lachten, bis sie die Fotos sahen ...
Die "Everest-Rennen"
werden bekanntlich in den zwei Disziplinen Nord- und Südroute ausgetragen,
wobei die Nordroute die wesentlich längere ist. Während die
Südroute mit 8 Stunden und zehn Minuten noch immer von einem nepalesischen
Sherpa gehalten wird, schuf Stangl mit 22 Stunden und 45 Minuten auch
auf der Langstrecke eine Marke, auf die die Konkurrenz nicht anders als
schockiert reagiert.