Gerfried Göschl zählte zu den besten Höhenbergsteigern Österreichs. Seine Spezialität: Neue Winter-Routen auf die höchsten Berge der Welt. Im Winter 2011/2012 plante er den Hidden Peak, den elfhöchsten Berg der Welt, erstmals über eine noch nie begangene Südroute zu besteigen und ihn über die Nordroute zu überschreiten. 250 Meter vor dem Gipfel verlieren sich jedoch seine Spuren ...
Land der Berge: Worauf hast du dich als Bergsteiger spezialisiert?
Gerfried Göschl: Ich bin ein Allrounder, der sich auf hohe Berge, Eis und Schnee spezialisiert hat. Und ich bin fasziniert davon, meine Spuren dort zu hinterlassen, wo noch nie ein Mensch war; es gefällt mir also, neue Routen auf die Gipfel der Achttausender zu finden und nach langer Vorarbeit zu begehen. Ein Beispiel: Die Nanga Parbat-Route, u.a. eine steile 1000 m-Rinne, die ich 2009 erstbeging, fand ich in einem alten Messner-Buch. Nach akribischer Vorarbeit sind mein Team und ich schließlich in sauberstem Alpinstil 2.300 m durch Neuland zum Gipfel geklettert. Ein spannender Traum, der uns da in Erfüllung ging! So gesehen sind unsere Spuren durch Neuland Spuren für die Ewigkeit. Genau das macht mich und meine alpinen Ambitionen aus.
LdB: Du bist verheiratet, hast zwei kleine Kinder: Wie lässt sich dein riskanter Beruf mit der Familie vereinbaren?
Heike Göschl: Wir haben einen Deal nach dem Prinzip "Nehmen und Geben". Ich gebe dir, dann gibst du auch mir etwas von dir. Wenn Gerfried zurückkommt, machen wir, was ich will – etwa ans Meer fahren. Ihn von seinen Bergprojekten abzubringen, wäre sinnlos, denn dann wäre er todunglücklich und ich hätte auch nichts davon. Wir haben uns gut arrangiert.
Göschl: Eines ist klar: Ich kann nicht nur für mich leben, ich muss meiner Familie auch etwas bieten. Mir ist wichtig, dass Heike ebenfalls ihre Ziele verwirklichen kann. Mit der Zeit habe ich erkannt, dass das Mehrgleisige zwischen Familie, Berg und Lehrerberuf nicht funktioniert, dass die Familie zerbricht, wenn ich nur mehr für meinen Bergtrip lebe. So habe ich derzeit mit dem Beruf aufgehört und widme mich nun ausschließlich meinen Bergprojekten und der Familie, die ich keine Sekunde missen will!
LdB: Was gibt dir die Familie für deine Bergunternehmungen?
Göschl: Obwohl ich versuche meine Chancen bis zum Letzten auszureizen, mahnt mich meine Familie in gefährlichen Situationen, nicht über die Grenze zu gehen.
Als ich heuer im Sommer etwa am K2 den Leichnam eines deutschen Bergsteigers fand, der hier 1993 abgestürzt war, dachte ich an meine Lieben und schwor mir, das Risiko nie zu überreizen. Ich möchte nicht so gefunden werden, sondern will am Leben sein und im Kreis meiner Kinder alt werden. Und ich möchte nicht, dass meine Kinder in der Ungewissheit leben, ob ich noch existiere oder nicht.
Ich gehe ein Risiko ein, aber ich möchte es soweit wie möglich herunter kalkulieren – mir und meiner Familie zuliebe.
LdB: Der kürzlich verstorbene Walter Bonatti, aber auch Viktor Frankl haben den Berg als ihren "Lehrmeister" bezeichnet. Was lehren dich die Berge?
Göschl: Die Berge haben aus mir gemacht, was ich heute bin: Der Gerfried Göschl, der ausgeglichen genauso wie euphorisch ist, der zerrissen ist, aber auch in sich ruhen kann. Im Gegensatz zum Einzelgänger Bonatti bin ich aber ein Teamplayer, der eine starke Seilschaft aus guten Freunden um sich haben will. Und ich bin ein Schachspieler, der die Strategie und Taktik seiner Projekte Zug um Zug durchdenkt. So habe ich gelernt, mir die Situationen am Berg vorzustellen, oft schwieriger vorzustellen, als sie sind. Das ist ein immenser psychischer Vorteil, wenn ich sie so vorfinde oder wenn sie sich dann als weniger schwer herausstellen.
LdB: Für Bonatti war das Winterbergsteigen die Königsdisziplin des Alpinismus schlechthin. Erfährt diese Spielart des Extremen mit dir eine Renaissance?
Göschl: Es waren vor allem die Polen, die beim Winterbergsteigen an den ganz hohen Bergen eine Art Vorreiterrolle übernommen haben. Im Winter bekommen die Achttausender eine ganz andere Dimension. Nicht, dass viel Schnee läge, nein, es ist oft pures, härtestes Eis, in das du nicht einmal eine Eisschraube hineinbekommst, wo du dich schwerst hinaufarbeiten musst. Kein Firn wie im Sommer, kürzere Tage, starke Stürme, sehr wenige Schönwetterfenster, fast nur schlechtes Wetter – unter all diesen Bedingungen muss man klettern!
Ich gehe also aus der natürlichen Weiterentwicklung heraus einen Schritt weiter als unsere Vorgänger und versuche mit der ersten Winterüberschreitung eines Achttausenders ein Projekt, an das bisher noch niemand gedacht hat.
LdB: Zum Beispiel den Hidden Peak, der diesen Winter Jahr am Plan steht.
Göschl: Ich freue mich schon, am 12. Jänner geht es los. Ziel ist die Erstbesteigung im Winter, die Begehung einer neuen Route, die wir schon letzten Winter versucht haben und die Überschreitung. Leider mussten wir letzten Winter umkehren, da uns Fixiermaterial ausging. Wir mussten teils um 2 Uhr früh bei ärgster Kälte aufsteigen, um mühsamst Seile zu verfixen und um dann bei Dunkelheit wieder abzusteigen. Der Rambazamba fängt nämlich schon im Basislager auf 5000 m an, wo wir letzten Winter bei über 100 km/h-Sturm darum kämpfen mussten, das Basislager zu erhalten! Oder wir waren stundenlang damit beschäftigt, einen exponierten Schlafplatz aus dem Eis zu hacken. Wir haben viel gelernt und aus dieser wertvollen Erfahrung heraus möchte ich jetzt einiges verbessern.
LdB: Was reizt dich an solchen grenzwertigen Unternehmungen?
Göschl: Es ist meines Erachtens eines der letzte Abenteuer, sich den Urgewalten auszusetzen. Dieses Ausgesetztsein ist es auch, was mich am meisten an diesen Expeditionen reizt. Es ist einfach eine ganz andere, atemberaubende Dimension. Hinter meinen Projekten steht eine Philosophie, die mich ausmacht, die mich motiviert und fasziniert. Meine Ziele müssen gerade noch erreichbar sein. Im selben Maß wie das Risiko des Scheiterns steigt, wächst auch der Wert des Erfolges.
LdB: Vom Hidden Peak zum Hermannskogel. Im Rahmen einer ORF-Universumsendung hast du die neun höchsten Gipfel der neun Bundesländer erstiegen. Hat der Höhenbergsteiger Gerfried Göschl eigentlich noch Freude am 542 m hohen Hermannskogel?
Göschl: Aber ja, natürlich! Gerade der Hermannskogel hat mir große Freude bereitet. Es gibt keine gleichen Berge, jeder hat seinen eigenen Charakter, hat etwas Besonderes, so auch der Hermannskogel, übrigens der niedrigste Berg, den ich jemals bestiegen habe! Warum streben alle danach, die 14 höchsten Berge zu besteigen, warum können es nicht auch die 14 niedrigsten sein?
LdB: Quo vadis Alpinismus?
Göschl: Alpinismus definiert sich stets neu. So heißt Alpinismus für mich, ins Ungekannte aufzubrechen. Was ich mache, ist etwas ganz anderes als Reisebüro-Expeditionen. Ich will Neuland betreten und erforschen. Ich mache all das nicht, um Gerlinde Kaltenbrunner oder andere zu toppen; ich mache das, weil es mein Projekt ist, weil ich mich darin verwirklichen kann. Ob das die Zukunft des Alpinismus ist, wird sich weisen.
LdB: Willst du deine Spuren in der Alpingeschichte hinterlassen?
Göschl: Ich kann es nicht abstreiten: Wenn man sich abplagt, ohne dafür Anerkennung zu bekommen, ist jede Anstrengung auf Dauer nutzlos. Ideal ist es, wenn der Mensch für sich ein Ziel findet, das ihm gefällt. Mir ist allerdings die Zahl 14 nicht so wichtig. Wie jetzt am Hidden Peak kann es durchaus sein, dass ich einen der sieben Achttausender, die ich bisher geschafft habe, nochmals angehe, weil ich dort ein interessantes Projekt erkenne. Solche sehe ich für mich 2013 am Manaslu und 2014 am K2.
Das Interview führte Thomas Rambauske am 11. Oktober 2011,
erschienen in Land der Berge 7/2011
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Mitte März 2012, Meldung in Land der Berge:
HIDDEN PEAK
GÖSCHL VERSCHOLLEN
Der 39-jährige Extremalpinist Gerfried Göschl, der Schweizer Cedric Hählen und der Pakistani Nisar Hussain sind nach ihrer geplanten Überquerung des Hidden Peak, des eltfhöchsten Berges der Erde, immer noch vermisst. Göschl, Hählen und Hussain waren zuletzt am 9. März von einem polnischen Expeditionsteam 200-250 Meter unterhalb des Gipfels gesehen worden. Sie wollten den Gipfel erstmals über eine noch nie begangene Südroute besteigen und über den Normalweg, der Nordroute, ins Basislager zurückkehren. Auf 7000 Metern Höhe betrugen die Temperaturen zur Zeit ihres Aufstiegs rund minus 45 Grad, Stürme erreichten Spitzen von 150 Kilometern pro Stunde. Eine massive Wetterverschlechterung machte die Suche nach den Männern zunächst unmöglich. Auch nachdem Helikopter beide Seiten des Berges abflogen, wurden keine Lebenszeichen der Bergsteiger entdeckt. "Es ist jetzt an der Zeit, der Realität ins Auge zu sehen. So schwer es uns allen auch fällt, sie gehen zu lassen, wir haben keine andere Wahl", schrieb Heike Göschl am 15. März in einem E-Mail. |