"Wenn
ich erkläre, dass die Freiheit durch jeden konkreten Umstand hindurch
kein anderes Ziel haben kann, als sich selbst zu wollen, wenn der Mensch
einmal erkannt hat, dass er in Verlassenheit Werte setzt - dann kann
er nur eines noch wollen, nämlich die Freiheit, als Grundlage aller
Werte."(Sartre)
Sartre
und die Eiger-Nordwand
Hias
Rebitsch ist einer der ganz wenigen Kletterer, die das Geschehen
in der Senkrechten sowohl vor als auch nach dem Zweiten Weltkrieg entscheidend
prägten. 1911 in Brixlegg geboren, gehörte Rebitsch altersmäßig
durchaus noch voll in die Gruppe der Bergvagabunden. Doch irgendwie
hob er sich von ihnen ab. Nach seiner Matura 1931 studierte er Chemie,
war an Philosophie und anderen Wissenschaften interessiert, verinnerlichte
Aussagen Jean-Paul Sartres. Er ging nicht zum Klettern, um soziale
Aufwertung zu erfahren, und war auch nicht am direkten Wettbewerb mit
anderen interessiert. Allein für sich selbst, zur eigenen Gaudi,
wie er es formulierte, zog es ihn ins Gebirge. Früh war er mit
den Bergen in Kontakt gekommen, machte als Jugendlicher Touren rund
ums heimatliche Alpbachtal. In den dreißiger Jahren wurde er zum
extremen Felskletterer. Betrachtet man die dürftige Ausrüstung
der Zeit, das relativ geringe Wissen um Trainingslehre, Biomechanik
und Sicherungstechnik, so darf man sagen, dass da die Karriere von einem
der vielleicht besten Felskletterer aller Zeiten begann. Mehr noch,
Rebitsch war wie wenige vor ihm auch richtig gut im Eis. Ein Alleskönner,
ein Profi am Berg. Dies bewies er 1937, als er zusammen mit Ludwig
Vörg der Eiger-Nordwand den "brutalen" Nimbus nahm
und nach 100 Stunden bei widrigsten Verhältnissen in der Wand unversehrt
und relativ entspannt wieder das Tal erreichte.
Sicher, auch er war an "den letzten Problemen der Alpen" interessiert,
fühlte sich herausgefordert. Sein überragendes Können
am Berg verlangte förmlich nach der Durchsteigung einer der großen
Westalpenwände. Er traf sich mit Anderl Heckmair, dem anderen
kompletten Allroundbergsteiger, im Kaiser, um sich für die Erstbegehung
der Eigerwand zu verabreden. Als Rebitsch aber die Einladung zur Nanga
Parbat Expedition von 1938 bekam, blieb er unverkrampft und zögerte
nicht, die Chance auf Tuchfühlung mit den Weltbergen wahrzunehmen.
Klettern
in höchsten Schwierigkeitsgraden
In Topform
war er allemal, hatte er doch viel trainiert, nicht nur für den
Eiger. Im Sommer ging er gerne schwimmen oder Kanufahren, im Herbst
zum Klettern. Wie eine Sucht erschien ihm das Bergsteigen dann und nicht
selten legte er auch im Winter Hand an den Fels. Selbstverständlich
konnte man ihn in jenen Jahren immer wieder im Wilden Kaiser in Aktion
sehen, dort war damals einfach der Ort des extremen Kletterns schlechthin.
Sein Spezialgebiet aber blieben Erstbegehungen in abgelegenen Gebieten
und noch einsameren Wänden. Dort eröffnete er Routen mit höchstem
Schwierigkeitsgrad, mitunter brüchig und schlecht abzusichern,
Touren, die den besten Kletterern den kalten Schauer über den Rücken
jagten, die viele für unmöglich hielten und Rebitsch für
"verrückt". Nur ganz wenige trauten sich an diese "sonderbaren"
Klettereien heran, an die Sonderbarerturm-Westwand, an die Riepenwand-Direkte-Nordwand
oder an die zur Tribulaun-Gruppe gehörende Goldkappel-Südwand.
Die
Ziffer VI
Hias Rebitsch
hatte eine große Affinität zur Ziffer VI. Zum VI. Sinn und
noch mehr zum VI. Schwierigkeitsgrad beim Klettern. Er kletterte extrem,
um extreme Situationen durchleben zu können, um Abenteuer durchzustehen.
Darüber hinaus war er ein Forschergeist, ein überaus neugieriger
Mensch, der entdecken wollte, beobachten und reflektieren konnte. Er
war nicht lebensmüde, im Gegenteil, voller Lebensfreude versuchte
er das Risiko so gering wie möglich zu halten, wollte kein blinder
Draufgänger sein. Aber er wusste, wenn er sich stark wahrnehmen,
wenn er Aufregendes erleben und seiner Neugier und seinem Entdeckungsdrang
Nahrung geben wollte, musste er einen Schritt weitergehen, musste er
die Grenzen des Möglichen verschieben. Beim Klettern gelang ihm
dies wie kaum einem zweiten.
Nanga Parbat und die Anden
Den Krieg
hatte Hias Rebitsch weitgehend als Chefausbilder in der Heereshochgebirgsschule
in Fulpmes überstanden. Danach sortierte er sein Leben neu, absolvierte
ein zweites Studium der Vor- und Frühgeschichte. Rebitsch wollte
leben und erleben, seine Unabhängigkeit und Freiheit waren ihm
besonders wichtig. Charmant und eloquent wie er war, gab es wohl reichlich
Möglichkeiten, sich langfristig an eine Partnerin zu binden, doch
er wusste, dass er unabhängig bleiben und noch viel unterwegs sein
wollte. Bereits vor dem Krieg war er erstmals im Himalaja, wagte einen
Vorstoß bis zum Silber Sattel am Nanga Parbat. Und später,
vor dem Hintergrund seines zweiten Studiums, interessierten ihn wieder
besonders die Berge der Welt, speziell die Anden. Dort konnte er Bergsteigen,
Forscher- und Entdeckerdrang in Einklang bringen. Doch stopp, bevor
sich Hias Rebitsch in den fünfziger Jahren ganz seinen Forschungsreisen
hingab, sollte er noch einmal Maßstäbe im Felsklettern setzen,
Maßstäbe, die für viele Jahre zur absoluten Obergrenze
des Felsgehens gehörten. Neben den reinen Kletterschwierigkeiten
war es insbesondere der Stil, mit dem Rebitsch die Routen erstbeging.
Nach 1945
hatte ein Trend eingesetzt, der Hias Rebitsch verärgerte. Da die
Zahl derer, die den VI. Grad beherrschen wollten, immer größer
wurde und unter diesen einige waren, die eigentlich das "Äußerste"
im Fels nicht sauber und frei klettern konnten, verwischten die Grenzen
zwischen freier und künstlicher Kletterei immer mehr. Rebitsch
musste vielfach mitansehen, dass es Wiederholer seiner Routen nicht
mehr so genau nahmen und häufig etliche zusätzliche Haken
in die Seillängen schlugen, die sie dann auch zur Fortbewegung
nutzten. Viele wollten einfach um jeden Preis zu den Sestogradisten
gezählt werden, andere waren sich gar nicht richtig bewusst, dass
sie den Charakter einer Tour durch ihren gesteigerten Hakeneinsatz deutlich
veränderten.
Was zu Dülfers Zeiten noch heftigst diskutiert wurde, war
nunmehr salonfähig bis schick geworden. Hatten Solleder,
Vinatzer und andere sich bei ihren großzügigen ersten
Führen des VI. Grades noch auf das zur Sicherheit unbedingt Notwendige
beschränkt oder selten genug einmal einen Seilzugquergang gemacht,
hie und da auch in die wenigen geschlagenen Haken gegriffen, so setzte
jetzt nach dem Krieg die Tendenz ein, Seillängen auszunageln und
sich munter an den Haken hochzuziehen. Mit Haken und Karabinern zu rasseln
wurde nach und nach zum Symbol der angeblich besten Kletterer. Selbstbeschränkung
war darüber hinaus im Vergleich zu VIer-Bergsteigern der ersten
Stunde auch deshalb nicht mehr so nötig, weil das Angebot an Haken
und Karabinern Zug um Zug vielfältiger und reichhaltiger wurde.
Hias Rebitsch hatte schon vor dem Krieg schwierigste Routen eröffnet,
verbuchte die Zweitbegehung der Schmid-Krebs an der Lalidererwand für
sich, kletterte im Kaiser, in den Kalkkögeln und anderswo Schwierigkeiten
jenseits von gut und böse in akrobatischer, freier Art und Weise.
Er hatte für sich geklärt, auch wenn die Grundsatzfragen über
die Begehungsstile bis zu diesem Zeitpunkt noch nicht endgültig
ausdiskutiert waren, dass er, Rebitsch, nur dann die völlige Befriedigung
durch eine neue Tour empfinden konnte, wenn er diese frei und mit geringem
technischen Einsatz geklettert hatte.
Rebitsch
- Leitfigur der Freeclimber
Geradezu wie
eine Mahnung an die Felsgeher erscheinen heute die Routen, die er in den
späten vierziger Jahren eröffnete. Eine Mahnung, den Wert vom
freien Überwinden schwerster Stellen vor den des Kletterns an Haken
zu setzen. Wie ein Vermächtnis des großen klassischen Freikletterns
überdauerten diese Touren die Jahrzehnte des künstlich-technologischen
Alpinismus mit der endgültigen Sackgasse der Direttissimas. Diejenigen,
die diese zum Teil vergessenen, zum Teil übernagelten Führen
Rebitschs im neuen Stil der Frei- und Sportkletter-Renaissance in den
siebziger Jahren wiederholten, erkannten, dass Rebitsch seiner Zeit voraus
gewesen war. Nicht nur in seinem Klettervermögen, sondern auch in
seiner Einstellung. Auch wenn er es selbst nie wollte, Hias Rebitsch wurde
zu einer Leitfigur für die große Freeclimbing-Bewegung, und
einhellig war die Meinung unter den jungen "Kletterrevolutionären",
dass dieser Mann schon damals den VI. Grad gesprengt hatte und sich im
Bereich des VII. Grades in der Senkrechten bewegen konnte.
Wie eine logische Konsequenz zogen dann auch Helmut Kiene und Reinhard
Karl Ende der siebziger Jahre Rebitschs erste Begehung seiner Risse
am Fleischbankpfeiler im Wilden Kaiser als direkten Vergleich heran, um
mit ihrer Route am selben Pfeiler offiziell den VII. Grad durchzusetzen.
Kurz bevor Hias Rebitsch 1951 seine extremen Kletteraktivitäten,
leider auch bedingt durch einen schweren Motorradunfall, ausklingen ließ,
zog er noch eine Linie durch eine seiner Lieblingswände, die Laliderer-Nordwand.
Zusammen mit Franz Lorenz hinterließ er 1947 mit der Nordverschneidung
eine Route, die für viele Jahre zu den schwierigsten und großzügigsten
Felsklettereien der nördlichen Kalkalpen gezählt wurde.
Steckbrief
*1911
in Brixlegg, Inntal, lebte später in Innsbruck, + 1990 in Innsbruck
Beruf:
Studium der Chemie; Kriegseinsatz an der Eismeerfront und Ausbilder an
der Heereshochgebirgsschule Fulpmes; nach Kriegsende Vor- und Frühgeschichtliches
Studium in Innsbruck; später u. a. Referent des OeAV für das
Expeditionswesen und die Bergführerausbildung; seit 1972 Ehrenprofessor
für Archäologie;
Bergsteigen: frühe Touren im heimatlichen Alpbachtal vor allem mit
seinem Bruder; 1931 mit diesem die ersten Neutouren; dann Wiederholung
schwieriger Routen und ab Mitte der dreißiger Jahre viele bedeutende
Erstbegehungen in verschiedenen Gebieten (insgesamt ca. 30), auch bedeutende
Allein- und Winterbegehungen.
1937
kam er bei schwierigen Verhältnissen in der Eiger-Nordwand bis zur
Rampe und - fast sensationell - wieder unbeschadet zurück; im Herbst
1937 schwer verletzt bei einem Motorradunfall (auf dem Weg zur Maukspitze);
1949 in Lappland; 1950 Pyrenäen.
1951
beendeten ein Ski- sowie ein Motorradunfall das extreme Klettern (Wirbelsäulenbruch,
mehrere Knochenbrüche); gerade genesen, noch auf Krücken 1952
nach Südperu; 1954 Leiter der kombinierten wissenschaftlich-bergsteigerischen
Deutsch-Österreichischen Karakorum-Expedition; zw.1956 und 1965 verschiedene
Fahrten in die Anden, wurde hier zum alpinen Archäologen; 1957 erschien
sein Buch "Die silbernen Götter des Cerro Gallan" über
seine ersten Forschungen in den Anden; erhielt für seinen Forschungseinsatz,
seine Verdienste um den österreichischen Alpinismus und das österreichische
Expeditionswesen verschiedene Ehrungen.