Franz
Senn, der heute als die bedeutendste Persönlichkeit gilt, die das
Ötztal hervorgebracht hat, kannte seine Berge wie niemand anderer,
kämpfte für den Wohlstand seiner Pfarren und plante die heutige
Franz Senn Hütte.
Das
Unglück
Gemeinsam
mit seinem Freund Zyprian Granbichler hatte Franz Senn, der Kurat von
Vent, einige Tage in Meran verbracht. Am 7. November 1868 brachen die
beiden vom Weiler "Unser Frau" bei Schnals auf, um über
das Hochjoch nach Vent zurückzukehren. Bereits vor dem Joch, das
eine Seehöhe von 2875 Meter aufweist, braute sich ein gewaltiges
Schlechtwetter zusammen, das neben einem jähen Temperatursturz
auch Sturm und dichten Schneefall mit sich brachte. Bald versanken die
beiden stellenweise bis zum Gürtel im Neuschnee, mühsam wühlten
sie sich über den Hochjochferner, der damals eine weit größere
Ausdehnung als heute besaß, zu Tal. Zu allem Unglück rutschte
Granbichler im vereisten Gelände plötzlich aus und verschwand
mit einem Aufschrei im Schneetreiben. Als ihn Senn endlich gefunden
hatte, war er zwar unverletzt, aber halb erfroren und völlig erschöpft.
Auch Senn konnte sich kaum mehr aufrecht halten, doch eine Rast mußte
unweigerlich zum Erfrierungstod führen. Um wenigstens Senn zu retten,
mobilisierte Granbichler daher seine letzten Reserven. Er übernahm
das Spuren, doch als endlich nach einem 30stündigen ununterbrochenen
Ringen mit den entfesselten Naturgewalten die Rofenhöfe in Sichtweite
kamen, war es mit seiner Kraft endgültig vorbei. "Jetzt kann
ich nicht mehr", murmelte er und sank in den Schnee. Senn deckte
ihn notdürftig zu und wankte zum nächsten, kaum eine Viertelstunde
entfernt gelegenen Gehöft, um Hilfe zu holen; diese kam jedoch
zu spät, Granbichler war bereits an Erschöpfung gestorben.
Senn, der den Tod seines Freundes zeitlebens nicht überwinden konnte,
sorgte trotz Geldnot noch viele Jahre für dessen Mutter.
Mitbegründer des Deutschen Alpenvereins
Franz Senn,
der heute als die bedeutendste Persönlichkeit gilt, die das Ötztal
hervorgebracht hat, war mit dem harten und kargen Leben der Bergbauern
seines Wirkungsbereichs (den "abgelegenen Winkel des finsteren,
unkultivierten Bärenlandes", wie er diesen einmal bezeichnete)
wohl vertraut. Er erkannte aber auch, dass nur Tourismus und Fremdenverkehr
die Not seiner Bauern lindern konnten. Immer mehr Menschen begannen
sich für die Berge zu interessieren, nur das Ötztal blieb
vorerst noch von dieser Entwicklung verschont. Es gab hier fast keine
Unterkünfte, und die Wege waren in einem außerordentlich
schlechten Zustand. Doch alle Verbesserungen auf diesem Gebiet kosteten
Geld, und dieses konnte nur teilweise von der Bevölkerung aufgebracht
werden. Senn bat daher den 1862 in Wien gegründeten Österreichischen
Alpenverein um Hilfe. 8000 Gulden hatte allein der Ausbau des Saumpfades
von Zwieselstein über Vent ins Schnalser Tal verschlungen, 5000
kamen durch Sammlungen herein, den Rest erhoffte man vom Alpenverein
zu bekommen. Doch in Wien brachte man für Senns Anliegen kaum Verständnis
auf. Der zentralistisch geführte, wissenschaftlich ausgerichtete
Verein hatte andere Sorgen, ganze 100 (!) Gulden stellte man Franz Senn
zur Verfügung. Verbittert kehrte dieser nach Vent zurück und
stürzte sich selbst in Schulden, damit der ausstehende Betrag beglichen
werden konnte.
Die ablehnende, ja desinteressierte Haltung des Österreichischen
Alpenvereins in Wien an den Vorgängen in den Tiroler Bergen führte
letztlich 1869 in München zur Bildung eines Deutschen Alpenvereins,
und Franz Senn gehörte zu dessen Gründungsmitgliedern.
Pfarrer
in Nauders
Durch die
stetig steigende Zahl an Touristen, die in den folgenden Jahren nach
Vent kamen, stellte sich bei den Bewohnern allmählich ein bescheidener
Wohlstand ein. An Franz Senn, der immer noch in drückenden finanziellen
Verhältnissen lebte, dachte indes niemand. Zu den ständigen
Geldsorgen gesellte sich infolge der langen und kalten Winter ein Lungenleiden,
weshalb er 1872 Vent verließ, um in Nauders die Stelle eines Pfarrers
anzutreten. Als eine Typhusepidemie und danach ein Großfeuer den
Ort heimsuchten, half Senn, wo er nur konnte. Er stellte auch sein zur
Tilgung der Schulden gespartes Geld zur Verfügung. Noch einmal
wandte er sich an den mittlerweile zusammengeschlossenen "Deutschen
und Österreichischen Alpenverein" um finanzielle Unterstützung,
doch abermals ließ man ihn im Stich. So wurde er schließlich
wegen Zahlungsunfähigkeit sogar zu einer Arreststrafe verurteilt.
Seine letzten
Jahre verbrachte Franz Senn in Neustift im Stubaital, wo er 1884 an
Tuberkulose starb. Die über seine Anregung 1885 errichtete Franz-Senn-Hütte
erinnert heute noch an den "Gletscherpfarrer".