Der
Triumph und die Tragödie am Matterhorn sind untrennbar mit Edward
Whymper verbunden. Auch ohne diese berühmte Erstbesteigung gilt
der Engländer als einer der bedeutendsten Bergsteiger der alpinen
Erschließungsgeschichte.
Bis in
die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts waren die Engländer
an der Erschließung der Alpen maßgeblich beteiligt. Da ihre
Anreise zwangsläufig aus dem Westen erfolgte, gerieten vor allem
die Gipfeln der Westalpen, von denen damals viele noch nicht erstiegen
waren, ins Blickfeld der Briten. Bereits seit 1857 gab es den von Anfang
an elitären "Alpine Club", der die besten Bergsteiger
in seinen Reihen versammelte. Um Mitglied beim Alpine Club zu werden,
musste man mehrere anspruchsvolle Bergtouren - am besten die Ersteigung
einiger Viertausender, unter denen sich durchaus auch die eine oder
andere Neutour befinden sollte - nachweisen. Das konnten sich zu jener
Zeit nur vermögende Leute leisten.
Immer
wieder berannte Whymper den Berg von Süden, doch immer wieder wurde
er zurückgeschlagen.
Ab
etwa 1860 geriet das Matterhorn immer mehr in den Mittelpunkt des bergsteigerischen
Interesses. Es ist bei weitem nicht der höchste, wohl aber der
auffallendste Gipfel in den Walliser Alpen. 1861 erblickte der junge
englische Bergsteiger Edward Whymper erstmals diesen kühnen Berg,
den viele seiner Zeitgenossen für unbesteigbar hielten. Die scheinbar
günstigere Schichtung der Felsen an der Südseite veranlasste
ihn, den italienischen Bergführer Jean Antoine Carrel aus Breuil
zu verpflichten. Immer wieder berannte Whymper den Berg von Süden,
doch immer wieder wurde er zurückgeschlagen. 1865 sagte sich Carrel
von ihm los. Der kürzlich gegründete Italienische Alpenklub
(CAI) machte nämlich die erste Ersteigung des Matterhorns zu einer
nationalen Angelegenheit, und so begab sich Whymper nach Zermatt.
Im August
dieses Jahres traf Whymper dort mit sechs weiteren Männern zusammen,
die ihn bei
seinem
nunmehr neunten Besteigungsversuch begleiten sollten: die Bergführer
Peter Taugwalder (Vater und Sohn), Michel Croz und die Touristen Reverend
Carles Hudson, Lord Francis Douglas und Robert D. Hadow. Mit Ausnahme
von Whymper verfügten die meisten seiner Gefährten - außer
den Bergführern - kaum über alpine Kenntnisse, besonders der
junge Hadow galt als ausgesprochen unerfahren. Am frühen Morgen
des 13. Juli verließen die sieben Bergsteiger Zermatt. Der Aufstieg
ging zügig vonstatten, denn die Schwierigkeiten, die sich ihnen
entgegenstellten, waren geringer als befürchtet. Am 14. Juli 1865
betrat Edward Whymper um 13.40 Uhr als Erster den Gipfel des Matterhorns.
Zur gleichen Zeit hatten auch die Italiener zum alles entscheidenden
Gipfelsturm angesetzt. Als Whymper und seine Gefährten den höchsten
Punkt des Matterhorns betraten, erblickten sie kaum 200 Meter tiefer
die italienische Mannschaft, die den Kampf um den Berg nur knapp verloren
hatte. Um auf ihren Sieg aufmerksam zu machen, begannen Whymper und
seine Begleiter laut zu schreien und Felsblöcke herabzuwälzen,
worauf sich Carrel weigerte, auch nur einen einzigen Schritt weiter
zu gehen, sondern unverzüglich den Abstieg antrat. Erst drei Tage
später, als sich seine Enttäuschung ein wenig gelegt hatte,
stieg er von Breuil aus über den so genannten "Italienischen
Grat" bis zum Gipfel empor.
Der
schlimmste Missgriff war, das schwächste Seil zu benutzen, um den
alten Taugwalder und Lord Francis Douglas anzuseilen.
Whympers
Triumph erlitt durch die Katastrophe, die über seine Gruppe beim
Abstieg hereinbrach, einen argen Dämpfer. Nur er und die beiden
Taugwalder kehrten lebend nach Zermatt zurück; Croz, Hudson, Douglas
und Hadow stürzten in den Tod. "Gibt es eine leichtsinnigere
Vorbereitung für einen schwierigen Abstieg? Der erste Fehler war,
dass der junge Peter Taugwalder der letzte Mann beim Abstieg war. Der
zweite Fehler bestand darin, dass Whympers Vorschlag, einige der vielen
Ausrüstungsgegenstände am Fels zu befestigen, um eine zusätzliche
Sicherheit zu schaffen, einfach in den Wind geschlagen wurde. Der schlimmste
Missgriff war, das schwächste Seil zu benutzen, um den alten Taugwalder
und Lord Francis Douglas anzuseilen", schrieb Sir Arnold Lunn
1969 in der Zeitschrift "Der Bergsteiger". Das Unglück
wurde jedenfalls durch einen Ausrutscher des jungen Hadow eingeleitet,
der als Erster abkletterte. Ein simpler Seilriss rettete Whymper und
den beiden Taugwaldern das Leben, die vier anderen wurden über
die Wand in die Tiefe geschleudert. Die Leichen von Hudson, Hadow und
Croz fand man später auf dem Matterhorngletscher und setzte sie
in Zermatt bei; die sterbliche Hülle von Lord Douglas blieb dagegen
verschollen.
In
der Folgezeit sah sich Whymper mit schweren Vorwürfen konfrontiert.
Besonders harte Angriffe kamen von der Londoner Times, doch der Bezwinger
des Matterhorns setzte sich zur Wehr. In seinen "Scrambles amongst
the Alps in the years 1860 - 1869", die ins Deutsche und ins
Französische übertragen wurden, gab er eine sachliche, seine
Gegner entwaffnende Darstellung seiner Matterhornersteigung.
Auch ohne die erste Ersteigung des Matterhorns müsste man Edward
Whymper zu den bedeutendsten Bergsteigern der alpinen Erschließungsgeschichte
zählen. Schon als Zwanzigjähriger konnte er an einer Kundfahrt
in die Westalpen teilnehmen, deren Ziel die erste Besteigung des Mont
Pelvoux (Dauphine) war. Obwohl der Gipfel nicht erreicht werden konnte,
war Whymper von den Bergen zutiefst beeindruckt. Er kam kurze Zeit später
zurück und bestieg den Mont Pelvoux auf Anhieb. Zwischen 1860 und
1864 erstieg er den Barre des Ecrins, den Mont Dolent, die Aiguille
de Trelatete, die Aiguille d'Argentiere, die Grandes Jorasses und die
Aiguille Verte.
Auch
ohne die erste Ersteigung des Matterhorns müsste man Edward Whymper
zu den bedeutendsten Bergsteigern der alpinen Erschließungsgeschichte
zählen.
Nach seinem
Gipfelsieg am Matterhorn unternahm Whymper im Dienste der Wissenschaft
zwei Expeditionen nach Grönland. Schließlich fuhr er nach
Südamerika, wo er am 4. Jänner 1880 als Erster den Chimborazo
(6.725 m) erstieg. Eine später auf diesem Berg errichtete Schutzhütte
trägt noch heute seinen Namen. Am 3. Juli 1880 stieg er ein zweites
Mal auf diesen Vulkan. Im Zuge seines Aufenthalts auf diesem Kontinent
gelangen ihm auch noch die Ersteigungen von Cotopaxi (6.431 rn), Antisana
(6.343
m), Pichincha (5.223 m) und Cayambe (6.225 m).
Whymper verfasste
im Laufe seines Lebens zahlreiche Aufsätze alpinen und alpin-geografischen
Inhalts, aber auch den Führer "Chamonix and Mont Blanc",
der vor allem von den englischen Bergsteigern sehr geschätzt wurde.
1892 veröffentlichte er unter dem Titel "Travels amongst the
Great Andes of the Equator" seine Erlebnisse in Südamerika.
Als begabter Zeichner war er ein gesuchter Illustrator, der nicht nur
für seine eigenen Werke, sondern auch für fremde Publikationen
packende Abbildungen schuf. Die angebliche Todesvision am Matterhorn,
die wohl auf ein so genanntes "Brockengespenst" zurückzufuhren
ist, zählt wohl zu seinen bekanntesten Zeichnungen.
Erst 1906, nachdem er sich aus dem Geschäftsleben zurückgezogen
hatte, heiratete er. Die Sommermonate verbrachte er mit seiner Frau und
seinem bald darauf geborenen Kind entweder in Zermatt oder in Chamonix.
Dort, irn Schatten seiner geliebten Aiguilles, ist er 1911 gestorben.