"Als
Wanderer in der Welt habe ich Berge auf allen Kontinenten bestiegen,
die Quellen aller großen Ströme und die drei größten
Inseln unserer Erde gesehen", mit diesen Worten in seiner Biografie
"Mein Leben" umreißt Heinrich Harrer sein Lebensmotiv:
reisen, entdecken, neues Terrain erkunden. Und das tat er - nach Herzenslust.
Als erster durchstieg er die Eiger-Nordwand, verbrachte sieben Jahre
im "verbotenen" Tibet, war dort Lehrer und Freund des Dalai
Lama, führte Expeditionen in die Anden, zum Amazonas, nach Grönland
und Alaska.
Harrer
wurde am 6. Juli 1912 in Obergossen bei Hüttenberg in Kärnten
geboren. Er stammte aus keinem reichen Elternhaus, das ihm seinen Drang
in die Welt hinaus finanziert hätte. Als sein Vater, ein Postbeamter,
1927 nach Graz versetzt wurde, standen ihm mehr Türen offen. Er
maturierte an der Realschule in Graz und absolvierte von 1933 bis 1938
ein Studium in den Fächern Geographie und Sport an der Karl-Franzens-Universität
in Graz.
Mehr
als ein Zehntel seines Lebens hat Harrer in Höhen zwischen vier-
und sechstausend Metern verbracht.
Die
Ferien gehörten den Bergen, sein Taschengeld verdiente er sich
mit Bergführungen und Skikursen. 1936 nahm Harrer bei den Olympischen
Spielen in der Abfahrt und im Slalom teil. Ein Jahr später wurde
er Akademischer Weltmeister im Abfahrtslauf und anschließend Nationaltrainer
der österreichischen Damenski-Nationalmannschaft. Doch das Bergsteigen
übte weiter eine starke Faszination auf ihm aus.
Nach Abschluss der Lehramtsprüfung machte sich Harrer mit seinem
Freund Fritz Kasparek auf den Weg zum Eiger. Am 21. Juli 1938 stiegen
sie in die als "Mordwand" bezeichnete Nordwand ein, um am
24. Juli um 15.30 Uhr gemeinsam mit zwei weiteren Bergsteigern, Anderl
Heckmair und Wiggerl Vörg, am Gipfel des Eiger zu stehen. Harrer
war der letzte "Überlebende" der erfolgreichen Seilschaft,
nachdem Heckmair im Februar 2004 im Alter von 98 Jahren gestorben, Vörg
1941 in Russland gefallen und Kasparek 1954 beim Bergsteigen in den
südamerikanischen Anden verunglückt war.
Die
Frage, warum man etwas Ungewöhnliches unternimmt, stellt sich gar
nicht. Die Begründung könnte ganz einfach die Lust am großen
Abenteuer sein.
Als nächstes
Ziel lockte der Himalaja. Kurz nach seiner Hochzeit im Dezember 1938
mit Lotte Wegener, der jüngsten Tochter des bekannten Grönland-Forschers
Alfred
Wegener,
erreichte ihn 1939 die Einladung, an der Erkundungsexpedition zum Nanga
Parbat teilzunehmen. Diese fand im Herbst 1939 ein unerwartetes Ende,
als die Expeditionsmitglieder in Karatschi von indischen Soldaten verhaftet
und in das englische Internierungslager Ahmednagar, später nach
Dehra Dun, gebracht wurden. In der langen Zeit der Gefangenschaft bis
1944 bereitete sich Harrer nicht nur immer wieder auf die Flucht vor,
sondern brachte sich auch Tibetisch, Hindi und Japanisch bei. Am 29.
April 1944 gelingt ihm schließlich gemeinsam mit Peter Aufschnaiter
die Flucht. Sie dauert zwei Jahre und führt über 65 Himalaja-Pässe
in einer Seehöhe von 5.000 bis 6.000 Meter. 1946 erreichen sie
schließlich die "verbotene" tibetische Hauptstadt Lhasa
.
Tibet mit
seinen freundlichen Menschen wurde für Harrer schließlich
zur zweiten Heimat. In Lhasa baute er einen Damm, zeichnete einen Stadtplan,
beriet Beamte und Minister - und wurde Freund und Berater des jungen
Gottkönigs, des Dalai Lama. Im Herbst 1950 rücken die Chinesen
in Osttibet ein. Viele Tibeter und auch Harrer müssen ins Ausland
fliehen. Nach über 13 Jahren kehrt er nach Europa zurück und
beginnt seine Erlebnisse und Eindrücke
der
westlichen Welt
in über 20 Büchern und Dutzenden Fernsehsendungen mitzuteilen.
Sein bekanntestes Werk "Sieben Jahre in Tibet", in dem Harrer
seine Zeit mit Peter Aufschnaiter in Tibet und seine Bekanntschaft mit
dem XIV. Dalai Lama beschreibt, wird zum internationalen Bestseller
und 1997 von Jean-Jacques Annaud mit Brad Pitt in der Rolle des Heinrich
Harrer verfilmt (siehe Bild rechts oben).
Zu den
dunklen Seiten seines Lebens zählte die Mitgliedschaft in der NSDAP
und SS während der Nazi-Zeit, was Harrer im Nachhinein als Irrtum
bewertete. "Ich habe ein reines Gewissen", hatte Harrer glaubhaft
versichert. Denn er sei überraschend von Adolf Hitler 1938 nach
der Rückkehr von der Eiger-Tour empfangen und damit ohne sein Zutun
vereinnahmt worden. Die Aufdeckung dieser dunklen Vergangenheit tat
der Popularität Harrers keinen Abbruch.
Wenn
ich die Zivilisation hinter mir lasse, fühle ich mich sicher.
Auf die
Frage, weshalb er so ein ungewöhnliches Leben geführt habe,
antwortete Heinrich Harrer anlässlich seines 90. Geburtstages:
"Die Frage, warum man etwas Ungewöhnliches unternimmt,
stellt sich gar nicht. Die Begründung könnte ganz einfach
die Lust am großen Abenteuer sein." Genau diese Lust
hat ihn zeitlebens von Berg zu Berg, von Abenteuer zu Abenteuer, von
Kontinent zu Kontinent getrieben. Mehr als ein Zehntel seines Lebens
hat Harrer in Höhen zwischen vier- und sechstausend Metern verbracht.
1952 kehrte er nach Europa zurück, wonach er eine Reihe ethnografischer
und bergsteigerischer Expeditionen unternahm: 1953 zu den Quellen des
Amazonas (Erstbesteigung des Ausangate); 1955 Alaska mit Erstbesteigung
von Mount Hunter, Mount Deborah, Mount Drum; 1957 Ruwenzori-Gebirge;
1961/62 durchquert er West-Neuguinea, wo er die "Quelle der Steinäxte"
entdeckt, zum ersten Mal die Insel von Nord nach Süd durchquert
und die Carstensz Pyramide erstbesteigt; 1964/65 bereist er Nepal und
das Himalajagebiet, 1966 Surinam und das Amazonasbecken, 1969 Französisch-Guayana,
1970 Grönland, 1971 den Sudan, 1972 Borneo (Besteigung des Mount
Kinabalu, Nord-Süd-Durchquerung), 1973 wieder Nepal, 1975 die Andamanen-Inseln,
1976 Ladakh, 1977 das Ruwenzori-Gebiet, 1978 Sikkim, 1980 Sikkim und
Bhutan sowie 1981 ein weiteres Mal Nepal. 1982 gab es ein Wiedersehen
mit dem zerstörten Tibet. 1983, 1984 und 1986 bereiste er neuerlich
Bhutan, 1991 Ladakh.
Der
körperliche Höhepunkt ist keineswegs der Höhepunkt des
Lebens. Dieser kommt, wenn Ehrgeiz und Unrast sich in Geduld und Nachdenken
verwandelt haben.
Bis zuletzt
war Heinrich Harrer trotz internationalen Ruhms seiner Devise treu geblieben,
"ein gesundes und einfaches Leben" zu führen.
Das habe ihm sportliche Höchstleistungen und ein gesegnetes Alter
ermöglicht, erklärte er. Mit täglicher Gymnastik hatte
er seinen Körper fit gehalten. Zudem bekannte er: "Der
körperliche Höhepunkt ist keineswegs der Höhepunkt des
Lebens. Dieser kommt, wenn Ehrgeiz und Unrast sich in Geduld und Nachdenken
verwandelt haben".
Harrer
ist auch Träger zahlreicher Auszeichnungen und Ehrungen. Erwähnt
seien der 1964 verliehene Titel "Professor", das große
Verdienstkreuz des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland, das
große goldene Ehrenzeichen des Landes Kärnten und des Landes
Steiermark, das österreichische Ehrenzeichen für Wissenschaft
und Kunst, die goldene Humboldt-Medaille und die Ehrenmedaille des Explorer-Clubs
in den USA.
1995 wurde er in die Kurie der Wissenschaften in Österreich aufgenommen.
Ich
habe gelernt, jeden Tag wie ein Geschenk zu genießen. Was dann
unabwendbar geschieht, kann ich nur mit Ruhe und Vertrauen abwarten
Heinrich Harrer
stirbt am 7. Jänner 2006 im 94. Lebensjahr in Friesach. Er habe "mit
großer Ruhe seine letzte Expedition angetreten", heißt
es in der Mitteilung seiner Verwandten an die Medien. Mit ihm ist einer
der letzten großen Abenteurer, aber auch Lebenskünstler von
uns gegangen. Seine Bekanntheit, aber auch Beliebtheit stammte aus einer
Ära, in der Reisen noch Abenteuer bedeutete und viele Regionen der
Welt kaum erforscht waren. Mit den Worten "Ich habe gelernt, jeden
Tag wie ein Geschenk zu genießen. Was dann unabwendbar geschieht,
kann ich nur mit Ruhe und Vertrauen abwarten" beschließt
der "Wanderer in der Welt" seine Biografie, aber sicher nicht
seine Wirkung auf kommende Generationen.