Wasserwanderungen sind gerade im Sommer überaus erfrischende Erlebnisse. Im Ötztal gibt es einige davon, etwa entlang der stürmischen Ötztaler Ache, zum stillen Piburger See, zum tosenden Stuibenfall oder auf einem spannenden Waalweg der vielsprachigen Windache nach. Das Zeichen des Wasserläufers führt uns zu wahren Naturjuwelen.
Von Thomas Rambauske (Text)
Wasserläufer, lat. Gerridae, kennt man ja! Diese schlanken, haarigen Insekten flitzen federleicht übers Wasser, ohne dabei einzusinken. Wir tun es ihnen gleich und erkunden auf eigens kreierten „Wasserläufer“-Wanderungen leichtfüßig einige bemerkenswerte Gewässer im Ötztal.
Wasserläufer Piburger See
Bei dieser familiengerechten Rundwanderung erlebt man das wild tosende Wasser der Ötztaler Ache und den still in sich ruhenden Piburger See – ein besonders reizvoller Kontrast.
Von Ötz ausgehend gelangen wir am Ortsende zur Raftingeinstiegsstelle (kleiner Parkplatz) ans Ufer der Ötztaler Ache, der wir gegen ihre Laufrichtung am rechten Ufer folgen. Schon hier erlebt man das laute Tosen dieses Flusses, der sich weiß schäumend und reißend seinen Weg durch das Tal bahnt. Gelegenheit, gefahrlos ganz nah an sein Ufer zu gelangen, ergibt sich nur vor einem Infoplatz, wo eine kleine ruhige Lagune mit sandigem Ufer und Grotten zum Planschen im seichten ruhigen Wasser einlädt.
Die vor allem bei Wildwasser-Kanuten legendären "Achstürze"
Weiter bis zur Wellerbrücke, einer von 40 Brücken, die über die Ache führen. Hier wird der Lärm ohrenbetäubend. Wild reißend, rauschend und schäumend wirft sich das Wasser über die als „Achstürze“ bezeichneten Katarakte, die nach einem gewaltigen Bergsturz nach der Eiszeit entstanden. Der Fluss schießt besonders im Frühsommer mit gewaltigen Wassermassen durch die Felsen und bewegt dabei hausgroße Blöcke. Genau durch diese wilden Stromschnellen und Strudel verläuft auch eine der schwierigsten Wildwasser-Strecken der Welt, die gerne auch als „Eiger-Nordwand“ des Wildwassersports bezeichnet wird.
Die Wellerbrücke führt sicher über die tosenden Achstürze.
Der Weg führt nach der Wellerbrücke an mit Moosen und Farnen bedeckten Felsblöcken vorbei durch einen archaisch anmutenden Blockwald. Auch er ist jenem Bergsturz zu verdanken, der die Ache und den Piburger See entstehen ließ. Den haben wir nach etwa einer Stunde erreicht. Malerisch zwischen Seejöchl und Kanzel eingebettet, liegt er unbewegt und ruhig vor uns. Das landschaftliche Kleinod gehört zu den ältesten Naturschutzgebieten Tirols und wurde 1929 zum Naturdenkmal erklärt. Er gilt als Herzstück des Landschaftsschutzgebietes Achstürze-Piburger See, das einen wichtigen Lebensraum für seltene Pflanzen und Tiere bietet.
Am Südufer des Sees folgen wir dem Wanderweg, der im Uhrzeigersinn den See umkreist. Weil das Ufer besonders geschützt ist, darf nur in der Badeanlage beim Seerestaurant ins bis zu 24° warme Nass gesprungen werden. Auch ein Premiumerlebnis, für das man unbedingt die Badesachen einpacken sollte!
Zurück zu unserer Wanderung! Wir marschieren nun am Ufer entlang um den See herum oder über das sog. Seejöchl, von wo sich ein traumhafter Blick auf den Seekessel und zum gegenüber liegenden Acherkogel eröffnet. Wieder am Ufer, wandert man um die West-Kurve des Sees herum. An schönen Sommernachmittagen wird man überall am Ufer junge Menschen sitzen sehen, deren Gelächter weithin über das Wasser hallt. Über den See schippern auch kleine Ruderboote, die man sich ebenfalls beim Seerestaurant ausborgen kann.
Der Retourweg führt durch schönen Blockwald zurück zur Ache hinunter.
Wasserläufer Stuibenfall
Auch die zweite Wasserwanderung hat mit einem quirligen Fluss zu tun und führt zu einer weiteren Naturkostbarkeit: zum Stuibenfall, dem längsten Wasserfall Tirols.
Der Wasserläuferweg Stuibenfall beginnt am Bischofsparkplatz in Umhausen und führt am ruhig fließenden Gewässer des Waalweges Arzwinkel zum Ötzi-Dorf, einem archäologischen Freilichtpark, der das Leben in der Jungsteinzeit zur Zeit des Eismanns Ötzi, also vor rund 5.000 Jahren, zu veranschaulichen versucht. Die Ausstellung, der dahinter liegende Greifvogelpark und der Naturbadesee von Umhausen sind allerdings besondere Abenteuer, für die man sich einen eigenen Tag reservieren sollte.
Heute haben wir ein anderes Ziel. Auf einer Forststraße folgen wir dem noch harmlos dahinfließenden Horlachbach bis zum Waldcafé Stuböbele. Kaum zu glauben, dass uns derselbe Bach wenig später ein furioses Schauspiel liefern würde. Unterwegs das interessante Phänomen der „kalten Löcher“:
Blockwerk-Höhlen, in denen sich die kalte Winterluft bis in den Sommer hinein hält. Wie aus natürlichen Kühlschränken dringt der
frostige Hauch ins Freie und erfrischt uns wie in ersten Frühlingstagen.
Bild: Ötztal Tourismus
Mit lautem Getöse und über die Baumwipfel staubenden Wasserfahnen kündigt sich die Riesenkaskade schon von Weitem an. Dieses „Stäuben“ – im Ötztaler Dialekt „Stuiben“ – gab dem Wasserfall auch seinen Namen. An seinem Fuß eine Info-Stelle und der Beginn des Stuibenfall-Klettersteigs. Auch er ist heute nicht unser Thema. Nun geht es richtig los am Wasserfall-Erlebniswanderweg. Staunend steigen wir auf einem Serpentinenweg bergwärts und biegen bald zur ersten von fünf Aussichtsplattformen ab, die einen großartigen Blick auf die Wasserspiele vor uns gewähren. 159 Meter fällt der weiß schäumende Horlachbach in die Tiefe und setzt Wasserstaub frei. Eine Tafel weist darauf hin, wie gesund dieser Wasserspray für Lunge, Immunsystem und Schleimhäute des Atemtrakts ist.
Dann ein weiteres Abenteuer: der Marsch über die Treppen und Brücken einer Stahlkonstruktion, die ganz nah an das Naturschauspiel heranführt und so alle Sinne anrührt. Je höher wir steigen, desto unbändiger, fast gewaltiger wird das Element des Wassers. In Wirbeln und Walzen, Strudeln und Stieben fällt es mit unbändiger Kraft über die Klippe des Tauferbergs.
Dabei verdanken wir das grandiose Schauspiel einem einzigen kurzen Ereignis, einem Bergsturz vor etwa 8.000 bis 9.000 Jahren, als die Sturzmasse – der heutige Tauferberg – eine Wasserbarriere im Ötztal bildete. Bis der Horlachbach diese Mauer durchbrach und seither mit bis zu 2.000 Litern pro Sekunde durch das enge Felsentor in den Abgrund fällt.
Kern und Herzstück der Konstruktion ist die 80 Meter lange Hängebrücke, die einen spannenden Kontrast zur urwüchsigen Landschaft und der Naturgewalt des Wassers bildet. Unter dem Stahlrost fällt der Abgrund ins Bodenlose, und auch wenn die Brücke zu schwanken beginnt, kann ängstlichen Gemütern etwas bang werden. Die gewagteste aller Plattformen führt uns fast IN den Wasserfall. Nur Mutige und Kälteresistente steigen zu ihr hinunter und lassen sich von eiskaltem Sprühnebel umhüllen. Reden unmöglich, da man im Lärm kein Wort versteht. Im Nu ist man bis auf die Haut durchnässt, die eiskalte Gischt durchdringt uns bis auf die Knochen und zwingt uns nach wenigen Minuten zur Flucht.
Am Felstor angelangt, überquert man den Fall und erreicht die letzte Plattform. Danach verstummt schon nach wenigen Schritten das Tosen des Wasserfalls und eröffnet sich uns ein vollkommen neues Naturerlebnis in Form einer malerischen Bergwiese, auf der wir durch eine stille, friedvolle und harmonische Landschaft wandern. Leise begleitet uns der nun wieder kleinlaute Horlachbach. Beim Stuibenfall-Gasthof könnten wir einkehren, ehe wir in einer scharfen Linkskurve nach Westen weitermarschieren und sich abermals der Landschaftscharakter ändert.
Am Umhausener Höhenweg betreten wir plötzlich eine alpine Szenerie.
Am Umhausener Höhenweg betreten wir plötzlich eine alpine Szenerie, die von Wald, Felsen, Almen und den Gipfeln der Region gestaltet wird. Auch diesen Teil gilt es zu genießen. Dann umfängt uns wieder Wald und wir steigen in Serpentinen Richtung Umhausen hinunter, wobei wir im letzten Teil einem Kreuzweg folgen (Kapellen-Weg).
Im Talgrund angekommen, begehen wir noch den sog. Steppsteig, einen idyllischen, in felsige Waldhänge gebauten Naturlehrpfad, der über Umhausen hinweg zum Ötzi-Dorf zurückführt. Zahlreiche Info-Tafeln klären uns über die Geheimnisse des Waldes auf, Bänke laden zur Rast ein, eine Aussichtsplattform zum Schauen – etwa auf die Kreuzjoch-Spitze, den Funduspfeiler, die Fünf-Finger-Spitze oder den 3.097 m hohen Blockkogel.
Waalweg Mooserstegle
Vergleichsweise ruhig geht’s am Waalweg Mooserstegle zu, der durch Söldens stille Seite führt. Der Themenweg entlang eines einstigen Waalweges erzählt uns, wie sich die Bauern früherer Generationen zu helfen wussten, um die trockenen Felder zu bewässern.
Aber der Reihe nach: Wir wandern vom Parkplatz Gaislachkogl am südlichen Ende von Sölden über eine Brücke und entlang der Ötztaler Ache auf das Zentrum des Wintersportortes zu. Vor einer weiteren Brücke wenden wir uns nach rechts und marschieren über die letzten Häuser Söldens hinweg zuerst auf einem Waldweg, dann auf einer Forststraße ins Windachtal hinein. Beeindruckend die steilen Felswände und Einblicke in die Schlucht der Windache, die man von unten her lautstark tosen hört. An der zerklüfteten Landschaft erkennt man das beharrliche Werk des Wassers im Laufe der letzten Jahrhunderte. Bald lenken uns ein Schild und das Wasserläufer-Zeichen nach rechts in den Talgrund hinunter. Am lauter werdenden Rauschen merken wir, dass wir dem Wasser immer näher kommen. Im Talboden ist dann die ganze Sprachenvielfalt der Windache zu vernehmen, im Tosen und Rauschen, im Glucksen und Sprudeln, im Plätschern und Wirbeln, im Murmeln und Raunen, im Flüstern und Wispern erzählt sie uns ihre Geschichte. Etwa von längst vergangenen Zeiten, als an ihrem Ufer Waale entlangführten. Diese wurden einst angelegt, um das Wasser aus Wildbächen und Bergseen auf trockene Felder im Tal zu transportieren und diese fruchtbar zu machen. Zusätzlich mussten „Waalwege“ angelegt werden, um die mühe- und kunstvoll an-gelegten Bewässerungsleitungen aus Brettern und Stämmen, Rinnen und Schleusen, Kanälen und Schächten in Schuss zu halten. Einem dieser Waalwege, dem Mooser Steg, und einem
rekonstruierten Waal folgen wir nun entlang des moosigen Hanges des Brunnenkogels abwärts. An etlichen, originell gestalteten Lehr-Stationen erfahren wir spielerisch einiges über die Geschichte und Entstehung der „alpinen Aquädukte“, wie die Waale auch genannt wurden. Hin und wieder sollten wir aber auch den Blick von den Anlagen lösen und in die tiefe Windach-Schlucht wenden.
Erst in Talnähe öffnet sich der Wald und gibt den Blick auf die Giganten der gegenüberliegenden Söldner Seite frei, wie auf den Gaislach- und den Nederkogl. An ihrem Fuß mündet die Windache in die Ötztaler Ache. Beide Flüsse hätten uns wohl noch viel mehr zu erzählen …
... und am Ende der Wasserwanderungen tut ein Schläfchen gut ...
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