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Zwischen Hitler und Himalaya

Gerald Lehner

Zwischen Hitler und Himalaya

Die Gedächtnislücken des Heinrich Harrer

2007, Czernin, ISBN 3-7076-0216-8, 303 Seiten

Verlagsinformation:

Wie kaum ein anderer Österreicher erreichte Heinrich Harrer einen weltweiten Bekanntheitsgrad. Sein 1952 erschienener Beststeller „Sieben Jahre in Tibet“ machte den ehemaligen SS-Oberscharführer zum Helden einer ganzen Generation abenteuerbegeisterter Jugendlicher.
Seine Schilderungen legten den Grundstein heutiger Tibet-Esoterik, für ein gigantisches Geschäft mit Tourismus, Sehnsüchten und Klischees fernab politischer und sozialer Realitäten der Himalaya-Region.
Der Name Harrer wurde zum Inbegriff für eine Kultur des Bewunderns und Verherrlichens, in der eine Auseinandersetzung um sein Engagement für das Dritte Reich und die Hintergründe der Esoterik-Bewegung keinen Platz haben durfte. Nun hat Lehner seine mehrjährigen Rechercheergebnisse zusammengetragen und zeichnet ein bislang unbekanntes Bild des Bergsteigeridols und seiner Inszenierung vom NS-Regime über Tibet bis Hollywood.


Der Fall Harrer als Fall der eigenen Großeltern

"Ich habe Jagd gemacht", bekennt Lehner gleich zu Beginn. Und das ist auch die vordergründige Hauptintention des Buches: die Jagd Gerald Lehners auf Heinrich Harrer, dem er in immer enger werdenden Kreisen näher kommt, bis er die Falle zuschnappt und Harrer die Beweisstücke für seine NS-Vergangenheit vorhält. Sicher ein Musterbeispiel hartnäckig betriebenen Enthüllungsjournalismus, obgleich Lehner mitunter weit vom Thema abkommt (Beispiel Buddhismus), zu Überinterpretation neigt oder manche seiner Argumente hinken.
Schlussendlich hat Lehner aber nur bewiesen, was man hinlänglich sowieso schon wusste, aber hierorts tunlichst über viele Jahre überhörte und überlas: Harrer, der "persönlich mit Verbrechen der Nationalsozialisten nichts zu tun hatte", war seit 1933 SA- und seit 1938 SS-Mitglied, Opportunist und Nutznießer eines Gewaltregimes ("Wir haben die Eiger-Nordwand durchklettert über den Gipfel hinaus bis zu unserem Führer!") und Meister des Verschweigens, um ja keinen Kratzer an seinem Image als alpinistische Ikone abzubekommen.
Sic. So ist das, das wissen wir, warum aber dieses Buch?
Weil Lehner - und darin besteht der hintergründige Sinn dieses Buches - dem österreichischen Zeitgewissen einen Spiegel vorhalten will.
Was ihm ausgezeichnet gelingt. Denn mindestens so spannend wie das Zustandekommen der Enthüllungsgeschichte beschreibt er die Reaktionen, die der Aufdeckung der Harrer'schen NS-Vergangenheit folgten. Hierzulande, wo man sich noch immer gern als Opfer und keinesfalls als Komplize des deutschen Faschismus fühlt, blieb der Bergsteiger trotz aller Entlarvungen ein Volksheld, beim Tod des Alpinisten 2006 klammerten die meisten Medien die NS–Zeit aus ihren Nachrufen aus, beabsichtigter oder typischer Weise, wie man will.

"Für mein Land habe ich von Anfang an den großen Fehler gemacht, auch hier mit einer kritischen Öffentlichkeit zu rechnen. Diese existiert in Österreich nun in Ansätzen. Wozu noch dieses Buch? Wir sehen immer nur, was wir wissen, lautet eine These aus Wahrnehmungspsycholigie und Kulturwissenschaft. Wir sehen immer nur, was wir wissen wollen, lässt sich hinzufügen." (S. 124),

so Gerald Lehner. Harrers Weigerung, sich eigenen Fehlern zu stellen, deutet Lehner als symptomatisch für den Umgang Österreichs mit seiner Vergangenheit, womit er zweifelsfrei recht hat. Denn noch immer weigert sich der "Mainstream" Österreichs, den historischen Tatsachen zu stellen und - wenn es sein muss - Heroen und Denkmäler, auch vom marmornen Format eines Heinrich Harrer, zu stürzen. Lautstark bemängelt er das Fehlen einer funktionierenden demokratischen Erinnerungskultur und die Tatsache, dass "Fragen noch immer unter den Teppich gekehrt werden ... Österreichs Medienlandschaft erwies sich einmal mehr als Mirkokosmos hinter den sieben Bergen, der Harrer treu ergeben ist." Insofern trifft Lehner also einen - immer noch - blanken Nerv unserer Zeit und versteht sich als Abmahner, der eine stärkere Auseinandersetzung Österreichs mit seiner jüngsten Vergangenheit einfordert. "Zwischen Hitler und Himalaya" ist also in erster Linie eine engagierte Schrift gegen das Vergessen.

Dennoch: Was uns mit dem Fall Waldheim relativ leicht fiel, wird man auch nach der Lektüre dieses Buches schwer einsehen: Warum ein Denkmal stürzen, das durchaus auch im Guten beeindruckt hat? Warum eine Ikone beschädigen, die Millionen Menschen - nicht nur durch seine Bücher - zu eigenen Abenteuern, Aufbrüchen, Träumen, Phantasien inspiriert hat? Warum einen Alpinisten zu Sturz bringen, der als unlösbar geltende alpine Probleme sturzfrei durchstiegen und andere Pionierleistungen vollbracht hat, an der sich heute noch, auch junge Kletterer, orientieren? Weil heute vielleicht die selten gewordenen Denkmäler wichtiger sind als die Mahnmäler? Oder aber weil der Fall Harrer immer auch der Fall der eigenen Großeltern sein könnte? Vielleicht liegt darin das wahre Übel für das Vergessen-, das Drüberschauen-, Drunterkehrenwollen. Denn wer will schon wissen, dass sein eigener Großvater mit den Nazis sympathisiert hat?

Vor die Frage gestellt, ob mir nach der Lektüre des Buches der Bergsteiger Harrer oder der Nazi-Sympathisant mehr gilt, antworte ich ohne Bedenken: Der Bergsteiger, dem sein Vergessen endgültig verziehen ist.


Kommentar Reinhold Messner in der Zeitschrift "Alpin" (München), September 1997:

"Viele der Hitlerschen Ideen sind in den Köpfen von Alpinisten entstanden. Die illegalen Nazis der dreißiger Jahre in Österreich stammten hauptsächlich aus der Bergsteigerei.
Immer wieder kam von Heinrich Harrer die Kritik, wir Jungen könnten nicht mehr Seilschaften fürs Leben bilden, uns fehlten Intensität, Treue und Ausdauer. Er hält immer noch für richtig, was die Nazis gepredigt haben. Im Hick-Hack mit mir blieb er verstockt, vorwurfsvoll, ja beleidigend. Wie kann ein alter Mann sich so belügen? Der Mensch ist nicht hart wie Kruppstahl. Er ist brüchig, schwach, macht Fehler.

Harrer war ein außergewöhnlich ausdauernder, zäher Bursche. Beim Menschen und politischen Denker kommen mir Bedenken. Tibet könnte heute ein freies Land sein, wenn der junge Dalai Lama 1949, 1959 und 1951 einen weisen Lehrer und Berater gehabt hätte."


Zum Autor:

Gerald Lehner ist ORF-Redakteur und war Mitarbeiter bei „profil“ und „Der Standard“. Studium der Politikwissenschaft, Techniker und Lehrer in der Entwicklungszusammenarbeit mit Nepal. Lange journalistische Aufenthalte in den USA und Kanada.


Interview:

"Mein Buch hat nichts mit 'Schimpfen' zu tun"

In seinem Buch "Zwischen Hitler und Himalaya - Die Gedächtnislücken des Heinrich Harrer" enthüllt Gerald Lehner unverblümt die Verstrickungen des jüngst verstorbenen Bergsteigeridols mit dem NS-Regime. Aber auch der Dalai Lama, mit dem Harrer während seiner sieben Jahre in Tibet eng befreundet war, kommt nicht ungeschoren davon. Ein Buch also, dass etliche Fragen beantwortet – aber auch aufwirft:

LAND DER BERGE: “De mortuis nihil nisi bene” heißt es eigentlich: Warum nicht im Fall Harrer?

Gerald Lehner: Mein Buch hat nichts mit "Schimpfen" zu tun. Würde man das behaupten, wäre jeder Versuch einer historischen Analyse und Einordnung ein "Schimpfen". Damit würde sich jede Geschichtsforschung, die Auswertung von Dokumenten aufhören. Heinrich Harrer hat zu Lebzeiten praktisch keinen Finger gerüht, um die seit vielen Jahrzehnten bekannten Widersprüche seines Lebens voll aufzuklären bzw. sich für seine persönlichen Verstrickungen bis in höchste Kreise des NS-Regimes glaubwürdig zu entschuldigen. Harrer hat Kritiker, die ihm keine Dokumenten vorlegen konnten, mit bizarren Halbwahrheiten abgespeist oder manchen auch mit seinen Kontakten gedroht. Ich habe mich davon nicht einschüchtern lassen. Als ich ihm seine SS-, NSDAP- und SA-Verstrickungen nachwies, gab er immer nur das zu, was gerade noch nötig war, um nicht als chronischer Lügner dazustehen.
Für mich offenbart der millionenschwere Bestseller-Autor Heinrich Harrer eine Symbolik, die für viele Spitzenbergsteiger und andere Sportler gilt. Wenn es finanziell oder imagemäßig passt, lässt man sich von Machthabern und Unterstützern gerne vor den Karren spannen. Das ist heute so wie damals. Im besten Fall resultiert politisch-historische Bewusst- oder Ahnungslosigkeit vieler Spitzenbergsteiger in belanglosem, esoterischem Gerede. Schlimmstenfalls mündet es in die wortgewaltige Verteidigung von Leuten, die wie Harrer tief im Nationalsozialismus oder anderen totalitären Systemen verstrickt waren.

LDB: Sie haben in Ihrem Buch auch den Dalai Lama kritisiert.

Lehner: Der Dalai Lama ist immerhin ein Machtpolitiker. Kein anderer wird weltweit von Medienleuten so mit Samthandschuhen anfgefasst wie dieser so genannte „Gottkönig“. "Die Gedächtnislücken des Heinrich Harrer" ist nur der Untertitel meines Buches. "Zwischen Hitler und Himalaya" beleuchtet in einem ebenso umfangreichen Teil die bis heute dokumentierbaren Verstrickungen des tibetischen Establishments mit Nationalsozialisten, esoterischen Netzwerken bis hin zu Neonazis wie dem Chilenen Miguel Serrano. Und warum stellt sich der Dalai Lama wiederholt mit einem verurteilten SS-Kriegsverbrecher wie Bruno Beger, Mitwisser bei einem 86-fachen Massenmord an Auschwitz-Häftlingen, vor die Kamera?

LDB: Erleben wir einen Bewusstseinswandel im Alpinismus?

Lehner: Nein. Das erleben wir im Alpinismus nicht. Überall sonst ist viel Wandel spürbar. In weiten Bereichen unserer Gesellschaft verändert sich der Blick auf den Nationalsozialismus. Er wird nicht mehr verharmlost, wie es über Jahrzehnte auf breiter Basis geschah. Emails oder Briefe mit wüsten Beschimpfungen und Drohungen, auch ziemlich harten, bekomme ich heute fast nur noch aus Alpinistenkreisen von 55- bis 60-jährigen Männern, die Harrer seit Jugendzeiten unkritisch verehren.