Verlagsinformation:
Wie
kaum ein anderer Österreicher erreichte Heinrich Harrer einen weltweiten
Bekanntheitsgrad. Sein 1952 erschienener Beststeller „Sieben Jahre in
Tibet“ machte den ehemaligen SS-Oberscharführer zum Helden einer
ganzen Generation abenteuerbegeisterter Jugendlicher.
Seine Schilderungen legten den Grundstein heutiger Tibet-Esoterik, für
ein gigantisches Geschäft mit Tourismus, Sehnsüchten und Klischees
fernab politischer und sozialer Realitäten der Himalaya-Region.
Der Name Harrer wurde zum Inbegriff für eine Kultur des Bewunderns
und Verherrlichens, in der eine Auseinandersetzung um sein Engagement
für das Dritte Reich und die Hintergründe der Esoterik-Bewegung
keinen Platz haben durfte. Nun hat Lehner seine mehrjährigen Rechercheergebnisse
zusammengetragen und zeichnet ein bislang unbekanntes Bild des Bergsteigeridols
und seiner Inszenierung vom NS-Regime über Tibet bis Hollywood.
Der
Fall Harrer als Fall der eigenen Großeltern
"Ich
habe Jagd gemacht", bekennt Lehner gleich zu Beginn. Und das
ist auch die vordergründige Hauptintention des Buches: die Jagd Gerald
Lehners auf Heinrich Harrer, dem er in immer enger werdenden Kreisen näher
kommt, bis er die Falle zuschnappt und Harrer die Beweisstücke für
seine NS-Vergangenheit vorhält. Sicher ein Musterbeispiel hartnäckig
betriebenen Enthüllungsjournalismus, obgleich Lehner mitunter weit
vom Thema abkommt (Beispiel Buddhismus), zu Überinterpretation neigt
oder manche seiner Argumente hinken.
Schlussendlich hat Lehner aber nur bewiesen, was man hinlänglich
sowieso schon wusste, aber hierorts tunlichst über viele Jahre überhörte
und überlas: Harrer, der "persönlich mit Verbrechen
der Nationalsozialisten nichts zu tun hatte", war seit 1933 SA-
und seit 1938 SS-Mitglied, Opportunist und Nutznießer eines Gewaltregimes
("Wir haben die Eiger-Nordwand durchklettert über den Gipfel
hinaus bis zu unserem Führer!") und Meister des Verschweigens,
um ja keinen Kratzer an seinem Image als alpinistische Ikone abzubekommen.
Sic. So ist das, das wissen wir, warum aber dieses Buch?
Weil Lehner - und darin besteht der hintergründige Sinn dieses Buches
- dem österreichischen Zeitgewissen einen Spiegel vorhalten will.
Was ihm ausgezeichnet gelingt. Denn mindestens so spannend wie das Zustandekommen
der Enthüllungsgeschichte beschreibt er die Reaktionen, die der Aufdeckung
der Harrer'schen NS-Vergangenheit folgten. Hierzulande, wo man sich noch
immer gern als Opfer und keinesfalls als Komplize des deutschen Faschismus
fühlt, blieb der Bergsteiger trotz aller Entlarvungen ein Volksheld,
beim
Tod des Alpinisten 2006 klammerten die meisten Medien die NS–Zeit aus
ihren Nachrufen aus, beabsichtigter oder typischer Weise, wie man will.
"Für
mein Land habe ich von Anfang an den großen Fehler gemacht, auch
hier mit einer kritischen Öffentlichkeit zu rechnen. Diese existiert
in Österreich nun in Ansätzen. Wozu noch dieses Buch? Wir sehen
immer nur, was wir wissen, lautet eine These aus Wahrnehmungspsycholigie
und Kulturwissenschaft. Wir sehen immer nur, was wir wissen wollen, lässt
sich hinzufügen." (S. 124),
so
Gerald Lehner. Harrers Weigerung, sich eigenen Fehlern zu stellen, deutet
Lehner als symptomatisch für den Umgang Österreichs mit seiner
Vergangenheit, womit er zweifelsfrei recht hat. Denn noch immer weigert
sich der "Mainstream" Österreichs, den historischen
Tatsachen zu stellen und - wenn es sein muss - Heroen und Denkmäler,
auch vom marmornen Format eines Heinrich Harrer, zu stürzen. Lautstark
bemängelt er das Fehlen einer funktionierenden demokratischen Erinnerungskultur
und die Tatsache, dass "Fragen noch immer unter den Teppich gekehrt
werden ... Österreichs Medienlandschaft erwies sich einmal mehr als
Mirkokosmos hinter den sieben Bergen, der Harrer treu ergeben ist."
Insofern trifft Lehner also einen - immer noch - blanken Nerv unserer
Zeit und versteht sich als Abmahner, der eine stärkere Auseinandersetzung
Österreichs mit seiner jüngsten Vergangenheit einfordert. "Zwischen
Hitler und Himalaya" ist also in erster Linie eine engagierte
Schrift gegen das Vergessen.
Dennoch:
Was uns mit dem Fall Waldheim relativ leicht fiel, wird man auch nach
der Lektüre dieses Buches schwer einsehen: Warum ein Denkmal stürzen,
das durchaus auch im Guten beeindruckt hat? Warum eine Ikone beschädigen,
die Millionen Menschen - nicht nur durch seine Bücher - zu eigenen
Abenteuern, Aufbrüchen, Träumen, Phantasien inspiriert hat?
Warum einen Alpinisten zu Sturz bringen, der als unlösbar geltende
alpine Probleme sturzfrei durchstiegen und andere Pionierleistungen vollbracht
hat, an der sich heute noch, auch junge Kletterer, orientieren? Weil heute
vielleicht die selten gewordenen Denkmäler wichtiger sind als die
Mahnmäler? Oder aber weil der Fall Harrer immer auch der Fall der
eigenen Großeltern sein könnte? Vielleicht liegt darin das
wahre Übel für das Vergessen-, das Drüberschauen-, Drunterkehrenwollen.
Denn wer will schon wissen, dass sein eigener Großvater mit den
Nazis sympathisiert hat?
Vor
die Frage gestellt, ob mir nach der Lektüre des Buches der Bergsteiger
Harrer oder der Nazi-Sympathisant mehr gilt, antworte ich ohne Bedenken:
Der Bergsteiger, dem sein Vergessen endgültig verziehen ist.
Kommentar
Reinhold Messner in der Zeitschrift "Alpin" (München),
September 1997:
"Viele
der Hitlerschen Ideen sind in den Köpfen von Alpinisten entstanden.
Die illegalen Nazis der dreißiger Jahre in Österreich stammten
hauptsächlich aus der Bergsteigerei.
Immer wieder kam von Heinrich Harrer die Kritik, wir Jungen könnten
nicht mehr Seilschaften fürs Leben bilden, uns fehlten Intensität,
Treue und Ausdauer. Er hält immer noch für richtig, was die
Nazis gepredigt haben. Im Hick-Hack mit mir blieb er verstockt, vorwurfsvoll,
ja beleidigend. Wie kann ein alter Mann sich so belügen? Der Mensch
ist nicht hart wie Kruppstahl. Er ist brüchig, schwach, macht Fehler.
Harrer
war ein außergewöhnlich ausdauernder, zäher Bursche. Beim
Menschen und politischen Denker kommen mir Bedenken. Tibet könnte
heute ein freies Land sein, wenn der junge Dalai Lama 1949, 1959 und 1951
einen weisen Lehrer und Berater gehabt hätte."
Zum
Autor:
Gerald
Lehner ist ORF-Redakteur und war Mitarbeiter bei „profil“ und „Der Standard“.
Studium der Politikwissenschaft, Techniker und Lehrer in der Entwicklungszusammenarbeit
mit Nepal. Lange journalistische Aufenthalte in den USA und Kanada.
Interview:
"Mein
Buch hat nichts mit 'Schimpfen' zu tun"
In seinem
Buch "Zwischen Hitler und Himalaya - Die Gedächtnislücken
des Heinrich Harrer" enthüllt Gerald Lehner unverblümt
die Verstrickungen des jüngst verstorbenen Bergsteigeridols mit dem
NS-Regime. Aber auch der Dalai Lama, mit dem Harrer während seiner
sieben Jahre in Tibet eng befreundet war, kommt nicht ungeschoren davon.
Ein Buch also, dass etliche Fragen beantwortet – aber auch aufwirft:
LAND DER
BERGE: “De mortuis nihil nisi bene” heißt es eigentlich: Warum nicht
im Fall Harrer?
Gerald
Lehner: Mein Buch hat nichts mit "Schimpfen" zu tun. Würde
man das behaupten, wäre jeder Versuch einer historischen Analyse
und Einordnung ein "Schimpfen". Damit würde sich jede Geschichtsforschung,
die Auswertung von Dokumenten aufhören. Heinrich Harrer hat zu Lebzeiten
praktisch keinen Finger gerüht, um die seit vielen Jahrzehnten bekannten
Widersprüche seines Lebens voll aufzuklären bzw. sich für
seine persönlichen Verstrickungen bis in höchste Kreise des
NS-Regimes glaubwürdig zu entschuldigen. Harrer hat Kritiker, die
ihm keine Dokumenten vorlegen konnten, mit bizarren Halbwahrheiten abgespeist
oder manchen auch mit seinen Kontakten gedroht. Ich habe mich davon nicht
einschüchtern lassen. Als ich ihm seine SS-, NSDAP- und SA-Verstrickungen
nachwies, gab er immer nur das zu, was gerade noch nötig war, um
nicht als chronischer Lügner dazustehen.
Für mich offenbart der millionenschwere Bestseller-Autor Heinrich
Harrer eine Symbolik, die für viele Spitzenbergsteiger und andere
Sportler gilt. Wenn es finanziell oder imagemäßig passt, lässt
man sich von Machthabern und Unterstützern gerne vor den Karren spannen.
Das ist heute so wie damals. Im besten Fall resultiert politisch-historische
Bewusst- oder Ahnungslosigkeit vieler Spitzenbergsteiger in belanglosem,
esoterischem Gerede. Schlimmstenfalls mündet es in die wortgewaltige
Verteidigung von Leuten, die wie Harrer tief im Nationalsozialismus oder
anderen totalitären Systemen verstrickt waren.
LDB: Sie
haben in Ihrem Buch auch den Dalai Lama kritisiert.
Lehner:
Der Dalai Lama ist immerhin ein Machtpolitiker. Kein anderer wird weltweit
von Medienleuten so mit Samthandschuhen anfgefasst wie dieser so genannte
„Gottkönig“. "Die Gedächtnislücken des Heinrich Harrer"
ist nur der Untertitel meines Buches. "Zwischen Hitler und Himalaya"
beleuchtet in einem ebenso umfangreichen Teil die bis heute dokumentierbaren
Verstrickungen des tibetischen Establishments mit Nationalsozialisten,
esoterischen Netzwerken bis hin zu Neonazis wie dem Chilenen Miguel Serrano.
Und warum stellt sich der Dalai Lama wiederholt mit einem verurteilten
SS-Kriegsverbrecher wie Bruno Beger, Mitwisser bei einem 86-fachen Massenmord
an Auschwitz-Häftlingen, vor die Kamera?
LDB: Erleben
wir einen Bewusstseinswandel im Alpinismus?
Lehner:
Nein. Das erleben wir im Alpinismus nicht. Überall sonst ist viel
Wandel spürbar. In weiten Bereichen unserer Gesellschaft verändert
sich der Blick auf den Nationalsozialismus. Er wird nicht mehr verharmlost,
wie es über Jahrzehnte auf breiter Basis geschah. Emails oder Briefe
mit wüsten Beschimpfungen und Drohungen, auch ziemlich harten, bekomme
ich heute fast nur noch aus Alpinistenkreisen von 55- bis 60-jährigen
Männern, die Harrer seit Jugendzeiten unkritisch verehren.
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