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Gerlinde Kaltenbrunner______________________

Interview

Aus Land der Berge 2003

Land der Berge: Wie erlebst du als Frau die männerdominierte Welt des Bergsteigens?

Kaltenbrunner: Als Frau musst du anfangs mehr Leistung bringen, um voll akzeptiert zu werden. Mittlerweile kennen mich viele Bergsteiger und respektieren mich auch mehr als früher. Leider gibt es nicht viele Höhenbergsteigerinnen, und daher freue ich mich jedes Mal, wenn ich eine treffe.

LdB: Willst du alle Achttausender besteigen?

Kaltenbrunner: Im Hinterkopf hab ich das schon. Wahrscheinlich auch deswegen, weil bis jetzt immer alles gut gegangen ist. Es wird sicher auch Zeiten geben, in denen ich nicht gleich beim ersten Versuch Erfolg habe. Ich möchte einen nach dem anderen versuchen, aber sicher nicht mit Gewalt. Die Gesundheit geht auf jeden Fall vor. Ich bin schon alle 8.000er im Kopf durchgegangen und lese sehr viel darüber. Jeder einzelne hat seinen Reiz, seine schönen, aber auch seine abweisenden Seiten.

Ich habe bei einigen Frauen beobachtet, dass sie die Höhe sehr gut vertragen. Es könnte sein, dass Frauen besser in ihren Körper hineinhören und diesbezüglich sensibler sind als Männer.

LdB: Wird beim ,,8.000er-Sammeln" nicht die Anzahl der Gipfel wichtiger als die individuelle Bedeutung des jeweiligen Berges?

Kaltenbrunner: Überhaupt nicht. Ich suche mir den Berg danach aus, wie er mich anspricht. Ich denke mir nicht, ich muss jetzt den fünften oder sechsten schaffen. Stattdessen setze ich mich immer sehr intensiv mit dem Berg auseinander, den ich mir zum Ziel gesetzt habe. Es geht mir um das persönliche Erlebnis.

LdB: Bei dir hat man den Eindruck, Kopfschmerzen sind ein Fremdwort für dich.

GerlindeKaltenbrunner: Zu Beginn am Broad Peak hatte ich einmal starke Kopfschmerzen und musste Aspirin nehmen. Das war das einzige Mal. Das Kopfweh kann man sich richtig wegtrinken. Ab einer gewissen Höhe trink ich so viel ich kriegen kann. Dadurch habe ich zum Glück nie Kopfweh.

LdB: Hast du ein Erfolgsgeheimnis?

Kaltenbrunner: Ich achte immer auf eine gute Akklimatisation. Und ich kann mich super auf mein Ziel einstellen. Wenn ich andere Bergsteiger beobachte, habe ich oft das Gefühl, dass sie mit aller Gewalt hinauf wollen. Natürlich fahre ich auch mit dem Ziel hin, auf den Gipfel zu kommen. Wenn es mir gut geht, schaffe ich es auch. Es soll jedenfalls nie an meiner Kondition scheitern. Entscheidend ist es, am Gipfeltag den inneren Schweinehund zu überwinden. Die extreme Kälte, der Sauerstoffmangel - es kommen viele Sachen zusammen, gegen die man ankämpfen muss. Aber mit einer guten inneren Einstellung geht das.

LdB: Wie trainierst du deine Kondition, damit du auch unter extremen Bedingung noch auf körperliche Reserven zugreifen kannst?

Kaltenbrunner: Vier bis sechs Monate vor der Bergfahrt habe ich das Bedürfnis, zwei mal täglich Ausdauer zu trainieren. Im Winter stehe ich um halb fünf auf und trainiere eineinhalb Stunden am Ergometer. Wenn ich abends von der Arbeit heimkomme, ziehe ich mich um, laufe mit den Tourenskiern auf den Feuerkogel, gehe duschen und falle ins Bett. Dann bin ich zufrieden. Vielleicht wäre es sinnvoller, sich an einen Trainingsplan zu halten, aber das mache ich überhaupt nicht.

Viele fragen mich nach dem Everest. Aber auch der käme nur ohne Sauerstoffflaschen in Frage.

LdB: Sind Frauen prädestiniert zum Höhenbergsteigen?

Kaltenbrunner: Ich habe bisher bei einigen Frauen beobachtet, dass sie die Höhe sehr gut vertragen. Es könnte sein, dass Frauen besser in ihren Körper hineinhören und diesbezüglich sensibler sind als Männer. Wenn es mir so schlecht ginge, wie ich es oft bei anderen sehe, würde ich nicht weitergehen, sondern umkehren und mich besser akklimatisieren.

LdB: Wie gehst du mit dem Risiko beim Höhenbergsteigen um?

Kaltenbrunner: Ich glaube, dass ich die Risiken mittlerweile gut einschätzen kann, aber ein gewisses Restrisiko bleibt immer. Gerade beim Höhenbergsteigen besteht die Gefahr, dass mal etwas abgeht oder ein Eisserac bricht. Lawinen kann man da noch besser einkalkulieren. Am Manaslu beispielsweise habe ich im Basislager zwei Tage abgewartet, bis das Gröbste vorbei war, und bin dann erst losgestartet. Ich setze mich schon damit auseinander, dass einmal etwas passieren könnte und ich nicht mehr heimkomme. Aber dieses Risiko hat jeder auch bei einer Autofahrt. Und ich glaube, dass es mir sowieso vorbestimmt ist, wann mein Leben vorbei ist.

LdB: Möchtest du auch weiterhin auf künstlichen Sauerstoff verzichten?

Kaltenbrunner: Für mich ist es ein wesentlicher Unterschied, ob man z. B. den Makalu mit oder ohne künstlichen Sauerstoff besteigt. Ich habe mir von Anfang an gesagt, ich gehe so weit, wie ich es aus eigener Kraft schaffe. Wenn du auf 8.000 m künstlichen Sauerstoff nimmst, fühlst du dich wie auf 6.500 m. Genauso gut könntest du dann auf einen Sechseinhalbtausender gehen. Viele fragen mich nach dem Everest. Aber auch der käme nur ohne Sauerstoffflaschen in Frage. Wenn ich einmal merke, dass mir die Luft ausgeht, dann hoffe ich, dass ich umkehren kann. Wenn die Berge nur noch ohne künstlichen Sauerstoff bestiegen werden dürften, würde sich das Höhenbergsteigen stark reduzieren, speziell am Everest. Aber das muss jeder für sich entscheiden. Schlimm ist es nur, wenn die Flaschen am Berg zurückgelassen werden, das verurteile ich sehr.

LdB: Wie sehen deine Zukunftspläne rund um Bergsteigen, Familie und Beruf aus?

Kaltenbrunner: Bergsteigen ist der absolute Mittelpunkt in meinem Leben. Wenn ich auf einen Berg hinaufkann, bin ich glücklich. Das Thema Kinder habe ich für mich schon abgeschlossen, weil es sich einfach nicht vereinbaren lässt. Ich möchte mich immer intensiver aufs Bergsteigen konzentrieren, aber als Profi durchzukommen ist sehr hart. Das Selbstvermarkten liegt mir gar nicht - ich will einfach bergsteigen, weil es mir Spaß macht. Aber ganz ohne Sponsoren geht es wegen der hohen Kosten einer Expedition natürlich auch nicht.

Bergsteigen ist der absolute Mittelpunkt in meinem Leben. Wenn ich auf einen Berg hinaufkann, bin ich glücklich.

LdB: Wie wichtig ist dir die Höhe eines Berges?

Kaltenbrunner: Heuer war mein Freund Herbert am Shivling unterwegs, und da wäre ich wahnsinnig gerne dabei gewesen. Weil der Berg einfach so schön ist. Oder die Ama Dablam, wo ich 1997 war, hat mich mit ihrer Steilheit und Schönheit tief beeindruckt. Und da geht es gar nicht um die Höhe. Aber insgeheim reizt mich die Höhe vielleicht doch, sonst ginge ich nicht immer wieder auf einen Achttausender. Je höher ich hinaufkomme, desto mehr gerate ich in einen Grenzbereich, und das ist schon ein spezielles Gefühl. Alles noch unter Kontrolle zu haben, obwohl man sich geistig und körperlich am Limit bewegt, ist eine Herausforderung. Wenn ich hoffentlich einmal mehr Zeit zum Bergsteigen habe, möchte ich gerne mehr Touren unternehmen, die zwar niedriger sind, aber technisch anspruchsvoller.

LdB: Welche Bergsportart ist dir - abgesehen vom Höhenbergsteigen - am liebsten?

Kaltenbrunner: Ich bin voll auf alpine Touren eingeschossen, am liebsten klettere ich Felstouren um den VI. Grad. Mich reizt weniger das extrem Schwierige, sondern das ganze Erlebnis: der Zustieg, eine tolle alpine Tour und dann das Obensein. Eisklettern gefällt mir auch ganz besonders. Es fasziniert mich, wenn sich das Wasser im Winter zu einem wunderschönen Eisfall verwandelt, der im Frühjahr wieder verschwunden ist.

Weiterlesen: Biografie Gerlinde Kaltenbrunner
Webtipps: www.gerlinde-kaltenbrunner.at, www.amical.de
Bilder: Gerlinde Kaltenbrunner, Ralf Dujmovits

Buchtipp:

Kaltenbrunner buchGerlinde Kaltenbrunner: Ganz bei mir – Leidenschaft Achttausender
Piper, ISBN: 9783492404211, 320 Seiten, € 14,95
Gerlinde Kaltenbrunner erzählt von ihren Lehrjahren, von ihrem Werdegang zur Weltklassebergsteigerin, von allen Tragödien, aber auch Glücksmomenten auf den Bergen der Welt. Der Neuauflage beigefügt ist das neue Kapitel "Gipfelgang zum Everest und Unglück vom K2".