Gippel
und Göller gelten als die geheimen Hausberge vieler Wiener neben
den "offiziellen" Rax und Schneeberg. Auf erstere zieht man
sich zurück, wenn man seine Ruh' haben will oder aber um die eindrucksvollste
Kammwanderung des Voralpengebietes zu erleben, zumal sich zwischen Gippel
und Göller hochalpine Wegstrecken, famose Ausblicke, idyllische
Almen und lauschige Wäldchen genauso flott abwechseln wie Kuhfladen
und deren Produzenten. Nachdem eine Überschreitung gewöhnlich
bei St. Aegyd startet und beim Kernhofer Gscheid endet (oder umgekehrt),
ist für den Retourweg ein zweites Auto oder ein kompliziertes Shuttle-Rückfahr-Autostopp-Manöver
notwendig. Das "Missing Link" zu einer perfekten Rundtour
mit ein- und demselben Start- und Zielpunkt findet sich in einem der
letzten Urwälder Österreichs, dem Lahnsattler Urwald, und
zwei scharfen Hängen, die allerdings nur trittfesten Abenteurern
vorbehalten bleiben. Und auch sonst empfiehlt sich die anstrengende
und tagesfüllende Überschreitung von Gippel und Göller
nur geübten, gut trainierten und ausgerüsteten Wanderern.
Durch
den Lahnsattler Urwald
Lahnsattel
(1015 m, Pass) – Zellersteig (Lahnsattler Urwald)
HU
ca. 100 ca. 100 m, GZ 1½ Stunden
Lahnsattel
Ein
rescher Fliegenpilz
Das Auto
wird am Lahnsattel-Pass (Kreuz, Parkplatz) abgestellt. Längs
der Straße führt ein blau markierter Wallfahrerweg bergab
und bald an einem "Holzknechtpfad" mit alten Gerätschaften
vorbei, die an die schwere Zeit der händischen Holzverarbeitung
erinnern. Schilder bezeichnen die am Wegrand stehenden Bäume und
unterstreichen das hohe Alter des hiesigen Waldes. Nach dem Ort Lahnsattel
und etwa 30 Minuten links zum Donaudörfl am Fuß des
Göllers. Nach einer Brücke nicht die Asphaltstraße links
weiter, sondern rechts auf eine Forststraße, die zugleich den
blau markierten Zellersteig und einen beliebten Wallfahrerweg
darstellt. Nun unanstrengend flach dahin durch einen der letzten Urbiotope
Österreichs, in das seit langer Zeit keine Menschenhand mehr eingegriffen
hat. Ja wirklich, hier knarren die greisen Bäume und schnarren
die Heuschrecken, da rauscht der Bach (Kalte Mürz) und raschelt's
im Gehölz - eine wunderbare Musik, die leider nur allzu oft unterbrochen
wird von betenden und singenden Wallfahrergruppen, die hier sogar mit
Megafonen bewaffnet durchziehen. Tipp an die Wallfahrtsmanager: Dieser
Wald eignet sich bestens zur stillen Meditation, zum ehrfurchtsvollen
Schauen und Lauschen, zum andächtigen Silentium. Immer wieder queren
Rinnsale den Weg und füllen kleine, von Kaulquappen und quirrligen
Wasserläufern bewohnte Tümpel, Pfauenaugen und Admirale flattern
über eine ungeheure Vielfalt an Pflanzen ... ja, beim Lahnsattler
Urwald handelt es sich wirklich um einen originalen Baustein der Schöpfung,
den der Mensch noch nicht verdorben hat. Schon allein deswegen bietet
sich dieser Naturschatz als Pflicht-Lehrweg für Kinder- und Familien
an. Kindern kann hier klar vor Augen geführt werden, was eigentlich
geschützt gehört, was einfach schön ist, weil es unverbraucht,
unverfälscht und ursprünglich ist. Ein Tour ohne handgemachte
Attraktionen, Sensationen und Action, eine Tour, dessen Hauptattraktion
in den Geschichten besteht, die ein 100 Jahre alter Baum oder die Eidechse
oder Schlange erzählen.
Um die Geheimnisse des Lahnsattler Urwalds noch besser erkunden und
verstehen zu können, sollte man sich einen ortsansässigen
Führer engagieren, wie z.B. Herrn Richard
Nutz, Tel.: 03883/236. Nach etwa
einer Stunde lichtet sich der Wald und gelangt man ungefähr in
der Mitte zwischen Gsenger- und Gippelgraben an einen
Felsen mit Wallfahrts-Gedenkschildern. Hier ist Schluss mit lustig.
Ein
prächtiger Admiral
Gippel
- Göllerhütte - Göller
Lahnsattler
Urwald - Gippel (1669 m) - Hofalm (Schnalzstein, 1546 m) - Waldhütt Sattel (1266 m) - Göllerhütte (1440
m) - Göller (1766 m) - Eisgrube - Lahnsattel (Pass)
HU
ca. 1200 ca. 1000 m, GZ 7 ½ Stunden
Blick
auf Hofalm und Schalzstein, dahinter der Göller
Blick
zurück auf die hochragende Gippelnase
Pfundiges
Essen auf der Göllerhütte
Picknick
unter dem Gipfel des Kleinen Göllers
Nun nordwärts
und unmarkiert über einen steilen Grashang bergan und an einem
Jägerhochstand vorbei durch eine Windbruchzone. Sobald sich der
Hang verflacht, sollte sich nordöstlich der Gipfelfelsen des Gippel samt Kreuz auftun, ein wenig später der markierte Roman Majewski-Steig (1 ½ St., Roman Majewski führte von 1945-1967 die
AV-Sektion St. Pölten). Legt man Wert auf den Gippel-Gipfel sollte
man etwa 30 Minuten und einen etwas steileren Anstieg durch die latschenbewachsene
Südflanke des Berges einplanen. Ansonsten den Majewski-Steig links
weiter und den nun sicher schönsten Abschnitt des Weges, ja vielleicht
sogar der Wiener Hausberge, begangen: die Kammwanderung über Hofalm,
Schnalzstein, Waldhütt Sattel gen Göller. Sehend und staunend
flaniert man gemütlich über Almen, Wiesen, Kuhweiden, Lichtungen,
kleine Wälder, und immer wieder famose Aussichtspunkte mit Blick
auf Ötscher, Dürrenstein, Rax und Schneeberg. Über die
schrofig-begrünte Gratschneide der Gamsmauer westwärts
eben weiter. Mit der Hofalm und dem Schnalzstein (1 ½
St.) gelangen
wir zum zweiten sprichwörtlichen Höhe-Punkt. Zudem kann in
der Kohlröserlhütte ein gemütlicher Zwischenstopp
eingelegt werden. Der Duft des Sommers ist auf den Weiden hier besonders
intensiv: frische Kuhfladen, feuchte Erde und duftende Wiesenkräuter
ergeben ein Odeur, nach dem wir uns nach langen Wintern gerne sehnen.
Nun bergab und mit Blick auf Kernhof durch Wald zum Waldhütt
Sattel (Abbruchmöglichkeit nach Kernhof bzw. Lahnsattel), von
hier über eine Straße quer durch die bewaldete Südflanke
des Schwarzkogels, zuletzt über einen lichten Steilhang
in Kehren bergan zur Göllerhütte (1 St.), einer von
den Naturfreunden St. Pölten gemeinschaftlich betreuten Raststation
mit g'schmackigen Speisen und engagiertem Wirtsteam. Der Blick über
das Hügelland des Voralpengebietes ist sowieso beeindruckend.
Von der Göllerhütte zuerst durch Nadelwald, dann über
die Göllerwiese bergauf und durch Latschengassen und über
schottrige Wege bis knapp unter den bekreuzten Gipfel des Kleinen
Göller (10 Minuten Umweg). Weiter durch Latschen an einem Gedenkkreuz
vorbei und über die Steilabbrüche der Karlgrube auf den grasigen
Ostrücken des Göllers. Über diesen zum letzten,
aber wahren Höhe-Punkt des Tages (1 St., Kreuz, Gipfelbuch). Pause.
Schauen: Hochschwab, Gesäuseberge, Dachstein und Totes Gebirge,
Dürrenstein, Gemeindealpe, Ötscher, im Norden Sulzberg, Tirolerkogel,
Eisenstein, im Osten Schneeberg, Rax und Schneealpe.
Um zurück
zum Ausgangspunkt am Lahnsattel zu gelangen, Teil zwei des "Missing
Links" und wieder ein etwas happiger Hang. Abstieg Richtung Terzer Göller und von dort unmarkiert die steile Eisgrube (Geröll, Wiese, Latschen, bekannt als rassige Winterabfahrt) hinab.
Einen Weg durch die wild wuchernden Latschenfelder zu finden, wird von
Jahr zu Jahr schwieriger. Trifft man auf eine Forststraße, hat
man es geschafft, denn die führt genau bis zum Lahnsattel-Pass und also zum Gefährt (2 St.).
9 Stunden
und 1300 Höhenmeter stecken nun in unseren Beinen. Das reicht.
Bis zum nächsten Wochenende.
Ein Videoclip vom Gipfel des Göller (10/2010)
Lahnsattler
Urwald
Der 23 Hektar große, unberührte "Urwald", der noch
nie forstwirtschaftlich genutzt wurde, befindet sich im Besitz der Familie
Hoyos in Lahnsattel. Urwald-Führungen ermöglichen den Besuchern
dieser Naturrarität noch heute den Anblick von 350 Jahre alten Tannen,
wildwuchernden Farnen und äußerst seltenen europäischen
Orchideenarten. Führung: Richard Nutz, Tel.: 03883/236
Schwierigkeiten:
Die
Tour, wie sie hier vorgestellt wurde, stellt hohe Anforderungen an die
Kondition. Weniger Trainierten ist die Tour als Zwei-Tages-Wanderungen
zu empfehlen mit Nächtigung in der Göller- oder Kohlröserlhütte.
Trittsicherheit ist in der Eisgrube vonnöten.
Höhenmeter:
Etwa
1300 in Auf- und 1000 im Abstieg
Gesamtgehzeit:
ca.
9 Stunden
Beste
Jahreszeit:
In
schneelosen und wettersicheren Zeiten immer möglich
Kinder:
Teilabschnitte
sind gehfreudigen Kindern sehr wohl zuzutrauen wie etwa der Spaziergang
durch den Lahnsattler Urwald, die Gipfeltour auf den Göller von Gscheid
bzw. Kernhof aus (Waldhütt Sattel, Göllerhütte) oder auf
den Gippel vom Zögernitz unweit von St. Aegyd.