Interview
mit Günther Hanisch und Flo Geiger
Wie
waren die Wetterverhältnisse während der Expedition?
Günther
Hanisch: Wir hatten das volle Programm: Vom Schneesturm bis zum
Sonnenbad mit freiem Oberkörper gab es alles. Insgesamt war es
der Jahreszeit entsprechend eher warm wobei das natürlich
sehr relativ ist. Die niedrigste Temperatur reichte bis auf 16°C
und die wärmste bis +10°C. Zum Glück schien meistens die
Sonne.
Flo
Geiger: Ein paar Tage gab es aber auch Nebel. Arktis-Reisende nennen
das "White Out": Das Weiß des Schnees geht direkt
in das Weiß des Himmels über. Man kommt sich dann vor, als
würde man durch einen weißen Wattebausch stapfen. Für
den ersten der Gruppe ist das unheimlich anstrengend, denn man bekommt
dabei Gleichgewichtsprobleme. Das Auge hat einfach nichts, an dem es
sich festhalten könnte. Wir haben deshalb den Führenden immer
wieder durchgetauscht. Ein paar kleine Stürme, die aber nur vier
bis maximal neun Stunden dauerten, erlebten wir auch. Da pfiff uns dann
eine Mischung aus Triebschnee und Neuschnee um die Ohren. Am nächsten
Morgen mussten wir die Pulkas mühsam ausgraben.
Wie
waren die Schnee- bzw. Eisverhältnisse?
Günther
Hanisch: Die Grönländer kennen über 40 verschiedene
Namen für die unterschiedlichen Schneearten. Ich glaube, die meisten
davon haben wir kennen gelernt. Jahreszeitlich bedingt hatten wir in
erster Linie Altschnee in den unterschiedlichsten Formen. Mal war es
weicher Sulz, dann wieder knallharter, Wind gepresster Schnee, der die
Steigfelle nur so kahl rasierte.
Flo
Geiger: Viele Grönland-Erfahrene hatten uns zuvor vom Juni/Juli
abgeraten. Man kann auf reißende Flüsse auf dem Eis und mächtige
Seen als unüberwindliche Hindernisse stoßen. Wir haben aber
in dieser Saison genau das ideale Zeitfenster erwischt. Nicht zu warm,
nicht zu kalt.
Grönland
sieht aus wie ein gefrorener Ozean mit riesigen Wellen.
Wie
muss man sich das Inlandeis vorstellen?
Flo
Geiger: Es ist wie ein riesiger eisiger Fladen, der auf Grönland
liegt. An den Rändern ist es dünner und wölbt sich natürlich
auch. Daher gibt es dort jede Menge Gletscherspalten Es sieht aus wie
ein gefrorener Ozean mit riesigen Wellen. Oben drauf ist es eher flach
und praktisch spaltenfrei.
Sind
die Gletscherspalten nicht sehr gefährlich?
Günther
Hanisch: Auf jeden Fall. Sie klaffen groß und mächtig
auf, möchten einen verschlingen. Manche Spalten wirken so bodenlos
tief, dass man meint, bis nach Australien schauen zu können. Anfangs
hatten wir richtig Angst, obwohl die Spalten größtenteils
schon offen waren. Aber dann gewöhnt man sich dran. Nach ein paar
Tagen lacht man der Gefahr ins Gesicht und geht seinen Weg auch
wenn die Schneebrücken hinter einem einstürzen. Beim Aufstieg
auf der Westseite gingen wir meistens nachts, weil dann die Schneebrücken
besser tragen. Ich bin trotzdem zweimal durchgebrochen und muss sagen:
Das war gar kein gutes Gefühl.
Flo
Geiger: Beim Abstieg vom Eis hinunter zur Ostküste hat ein
Wärmeeinbruch in Verbindung mit mehrtägigem Dauerregen alle
Gletscherspalten geöffnet. Dadurch waren sie für uns wenigstens
gut sichtbar. Noch ein paar Tage später hätten wir mit Schlauchbooten
über die Seen fahren müssen.
Manche
Spalten wirken so bodenlos tief, dass man meint, bis nach Australien
schauen zu können.
Was
waren die schlimmsten Augenblicke für euch?
Günther
Hanisch: Gleich in den ersten Tagen haben wir uns wahnsinnige Blasen
gelaufen, die natürlich nicht abheilten. Aber da mussten wir durch.
Die Blasen schmerzten dann die nächsten Wochen bei jedem Schritt.
Und es waren ungefähr 650.000 Schritte bis zum Ziel.
Was
war das Schönste an der Tour?
Günther
Hanisch: Die unglaubliche Stille an manchen Tagen. Und das Licht.
Wenn die Mitternachtssonne ganz flach über das Eis scheint, reichen
die Schatten bis zum Horizont. Highlights ganz anderer Art waren die
Tage, an denen wir unsere Kites benutzen konnten. Es ist ein unbeschreibliches
Gefühl, mit bis zu 50 Sachen über das Eis zu donnern. Die
Schlitten springen in einem wilden Galopp über die Schneeverwehungen.
Sonst hängen sie wie zähe Säcke hinter einem, beim Kiten
spürt man sie gar nicht mehr.
Flo
Geiger: Ein ungewöhnliches Erlebnis war auch die verlassene
Radarstation DYE 2. Die Amis hatten diesen monströsen Bau noch
zu Zeiten des Kalten Kriegs errichtet, wie eine Mondbasis mitten auf
dem Eis. Man kann die Station in der unglaublich sauberen und trockenen
Luft schon Tage vor Erreichen sehen. Das war für die Augen sehr
angenehm. Sie klammerten sich förmlich an diesen dunklen Fleck
in der Ferne. Sonst gibt es ja nichts gibt außer Eis bis zum Horizont.
Das Inlandeis ist ein sehr zweidimensionale Welt.
Ich
finde, einmal im Leben sollte man etwas wirklich Außergewöhnliches
und Anspruchsvolles gemacht haben.
Zum
Abschluss eine schwierige Frage: Warum macht man so was überhaupt?
Flo
Geiger: Ich finde, einmal im Leben sollte man mal etwas wirklich
Außergewöhnliches und Anspruchsvolles gemacht haben. Außerdem
erhoffte ich mir auch eine Art Pilgerreise: Beim monotonen Gehen das
Sein auf das Elementare reduzieren. Aber wegen den ständigen Ablenkungen
kam es dazu nicht. Erst wurde Hubert ausgeflogen, dann kam Dye 2 als
Ereignis und schließlich die Kite-Segelei. Dennoch möchte
ich keine Sekunde dieses großartigen Erlebnisses missen.
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