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Fjällräven POLAR 05
Duell der Hundeschlitten im Norden Skandinaviens


Das Kommando "Whoa!" sollte meinen Huskies bedeuten, stehen zu bleiben. Taten sie aber nicht. Taten sie nie auf den 350 Kilometern von der norwegischen Atlantikküste über die Nordkalotten bis ins schwedische Jukkasjärvi. Die Fjällräven POLAR, ein Hundeschlitten-Rennen für Amateure, wurde zu einem grenzwertigen Härtetest für mich – und meine Hunde.

Von Thomas Rambauske

Ohrenbetäubender Lärm. Wir verstehen unser eigenes Wort nicht mehr. Hundertfaches Gebell, Gejaule und Gekläffe; 150 Alaska Huskies, die wie verrückt an ihren Leinen zerren, 600 im Schnee scharrende Pfoten, ein Dutzend Mushers und ihre Beifahrer, alle ebenso nervös wie die Hunde – die Atmosphäre vibriert vor Spannung. Rennfieber am Siedepunkt. Der Start der Fjällräven Polar steht unmittelbar bevor.
Signaldalen an der norwegischen Atlantikküste. Startpunkt eines besonderen Hundeschlitten-Rennens, das über drei Tage und 350 Kilometer durch die „Nordkalotten“, die arktischen Regionen Norwegens, Schwedens und Finnlands führen wird. Die Spezialität dieses Wettkampfs: Die Teilnehmer, allesamt Amateure, dürfen noch nie vorher ein Hundegespann geführt haben. Rund 6.000 bewarben sich um einen der begehrten Plätze in den acht Nationalteams. Acht Mixed-Teams wurden schließlich ausgewählt, um diesen Härtetest für Mensch und Material zu er- und überleben. Jedes Team muss, mit Fjällräven-Equipment und 16 Hunden ausgestattet, neun Kontrollpunkte auf dem Weg nach Jukkasjärvi in Schweden passieren, um im berühmten Icehotel vielleicht als Sieger geehrt zu werden. Drei Tage, die sie mental und physisch an ihre Grenzen bringen werden, drei Tage Kälte, Stress, Anstrengung am Limit. Denn die Polar ist ein Extremwettkampf, bei dem es auf Strategie, Durchhaltevermögen und Geschicklichkeit ankommt. Und auf die Schmerzgrenzen von Mensch und Hund. Ich bin einer von diesen Amateuren. Eigentlich ein Bergmensch. Angespannt bis in die letzte Nervenfaser, frage ich mich immer wieder: Werde ich das Ziel erreichen? Werde ich mit den Hunden zurechtkommen, mit den unwirtlichen Verhältnissen, den Entbehrungen? Wir ahnen alle, dass wir weit über uns hinauswachsen werden müssen.

Online on line

Die wahren Athleten sind hier die Alaska Malamuts. Austrainiert, sehnig, Power bis in den letzten Muskelstrang. Geboren, um zu laufen, lautet ihr Lebenssinn. So ist auch ihre an Raserei grenzende Aufregung zu verstehen, als sie merken, dass es bald losgeht. Zerren wie verrückt an ihren Leinen, nehmen immer wieder Anlauf, um sich loszureißen, mancher Baum biegt sich bedrohlich unter der Belastung der Zugkraft. Wir sollen Kontakt mit „unseren“ Hunden aufnehmen, rät uns unser Guide Christina, eine waschechte Musherin, das schaffe ein Nahverhältnis, die Hunde würden schließlich für uns arbeiten, uns tagelang über Stock und Stein ziehen. So knien wir uns zu den Hunden unseres Gespanns, begrüßen sie, kraulen, streicheln sie.Für einen wie mich, der Hunde nur von den Trümmerln am Gehsteig kennt, eine neue Erfahrung. Aber die Huskies machen es mir in ihrer treuherzigen Freundlichkeit leicht, lassen meine linkischen Streicheleinheiten gelassen über sich ergehen. Niemals auch nur ein Schnappen. Christina brüllt mir die Namen „meiner Hunde“ ins Ohr: Boris, der Alpha-Dog und ranghöchste Gruppen-Führer; Online, der intelligente und auf die Kommandos des Mushers trainierte Lead-Hund, dahinter der ausgelassene Robbie Williams, der etwas dumbe Ozzy Osbourne, die zickige Britney Spears und Yen, der brave Schlusshund. Schon bei diesem ersten Kontakt zeigt sich, dass jeder Hund seinen eigenen Charakter hat. Funkelnde blaue, grüne und braune Augen, jedes Fell anders gemustert, jeder Hund mit ganz persönlichen Vorzügen und Schwächen. Mal schauen, wie sie auf meine Kommandos reagieren: „Gee!“ – Rechts!, „Haw!“ – Links!, „Whoa!“ – Stop! Gleich vorweg: Meine Hunderln werden sich einen Dreck um meine Kommandos kümmern, da konnte ich brüllen, was ich wollte, die eigentlichen Chefs waren sie und nicht ich, der Gast.

Niemals loslassen!

Sechs Hundestärken stemmen sich mit aller Kraft gegen die Leinen – wehe, wenn die nicht ordentlich fixiert sind! Löst sich ein Knoten, läuft der Hund oder das ganze Gespann auch ohne Mensch, bis ihm die Kraft ausgeht, und das kann lange, sehr lange dauern. Anschirren. Die Tiere werden an den Halsgurten genommen und über einen Gurt am Schlitten festgeschirrt. Auch hier gilt: Niemals loslassen, sonst ist Online offline. Christina instruiert uns in der Technik des Gefährts: So ein Schlitten gleiche einem Ferrari, bei dem das Gaspedal auf Hochtouren stecken geblieben ist und der sich nur mittels Bremse manövrieren lässt. Also Achtung! Die Bremsen – eine Mattenbremse zur Feinabstimmung und die schärfere Krallenbremse – seien deswegen auch die wichtigsten Bestandteile eines Schlittens, ohne sie wäre das Gespann nicht zu stoppen. Um während der Fahrt anhalten zu können, wird der sprichwörtliche Anker geworfen, eine scharfkantige Kralle, die sich durch die Zugbewegung der Hunde in den Schnee frisst. Mit einer Notleine wird der Schlitten bei längeren Stopps an einem festen Gegenstand wie einem Baum fixiert, zum anderen soll sie dem Fahrer im Falle eines Sturzes die Chance geben, sich am Gespann festzuhalten. Soweit die Theorie. Die Praxis sieht anders aus.

Start!

High Noon! Ein Gespann nach dem anderen wird ins Rennen entlassen. Nur mehr ein Team vor uns. Mir ist zum Bellen vor Aufregung, zünde mir die Zigarette am Filter an. „Nie die Lenkstange loslassen, auch wenn du stürzt!“, klingen mir Christinas Instruktionen nach, „zuerst auf die Krallenbremse steigen, die Notleine und den Schneeanker lösen! Und nie loslassen! Immer mit der Bremse arbeiten!! Verstanden?“ Der Bergmensch versteht nichts, fragt sich nur: Was mache ich hier!?
Start.
Eine Hand fest um die Stange gekrallt, mit der anderen die Leine gelöst, den Schneeanker aus dem Schnee gerissen – ein Ruck, sechs Pferde in Hundegestalt hebeln den Schlitten aus seiner Stellung, ziehen im Höllentempo los und – auf die Bremse vergessen! – frontal gegen den Schlitten meines Teamgefährten Pasqual. Chaos. Überall Beine, Zungen, Leinen, durch-, über-, ineinander. Fehlstart. Chris-tina löst die Verwicklungen. „Bleib auf der Bremse, bis ich ,Los‘ sage!!“, brüllt sie. Die Hunde, berstend vor Ungeduld, drohen sämtlichen Verankerungen den Garaus zu machen. L O S! Spürend, dass der Ferrari endgültig freigegeben ist, stürmen Boris & Co. sprichwörtlich entfesselt los, fliegen ihre Körper über den aufgewühlten Boden, schleudern mir ihre Pfoten braune Schneegischt ins Gesicht, selbst die festgetretenen Bremsen verringern ihr Tempo kaum. Geschafft! Yippihhh! Ich stehe auch nach hundert Metern noch auf dem Schlitten!

Die Hunde und der Musher kennen den Weg, wir sind nur zum Bremsen da – und zum Laufen! Wer nämlich glaubt, Schlittenfahren heißt, sich gemütlich durch die Gegend kutschieren zu lassen, täuscht sich gewaltig. In Wahrheit bedeutet so ein Rennen Schwerstarbeit für Hund und Mensch. Bei Steigungen, wenn der Schlitten für die Hunde zu schwer wird, musst du absteigen, nebenher mitlaufen und gleichzeitig antauchen. Oft über 300, 400 Höhenmeter am Stück. Detto in der Ebene, wenn der Boden zu tief ist und das Gefährt festzustecken droht: Absitzen, laufen, antauchen. Da rinnt der Saft … Und willst dich doch von den Hunden hochziehen lassen, weil dir die Kraft ausgeht, dreht sich der Alpha-Dog um und sieht dir mit tadelndem Blick in die Augen, als wolle er dir sagen: „Los, komm schon, fauler Hund, keine Müdigkeit vortäuschen! Antauchen, antauchen! Glaubst du, wir ziehen dich da ohne deine Mithilfe hoch?“ Du magst zu Hause ein Alpha-Mensch sein, der kompromisslose Chef hier ist der Alpha-Dog. Da bleibt dir nichts anderes übrig, als mit rasselnden Lungen weiter zu strampeln, bis dir die Zunge ebenso weit runterhängt wie den Hunden.

Pause, ich brauche eine Pause!! „Whoa! Stop! Whoa!“, brülle ich. Alpha-Boris dreht sich um, in seinen Augen blitzt mir das Wort „Trottel!“ entgegen. Sie kennen keine Gnade, keine Pause, verrichten sogar ihre Notdurft im Laufen. Nicht du fährst mit ihnen Schlitten, sondern sie mit dir. Blanker Wahnsinn.

Verschnaufen

Verschnaufen kannst du nur auf den flach dahinziehenden Passagen, auf jenen subarktischen Hochebenen, wo der Horizont kein Ende nimmt. Dann scheint der Schlitten wie von Zauberhand gelenkt über den frischen Schnee zu fliegen, und du stehst wie ein König auf den Kufen und lässt die traumhafte Landschaft an dir vorüberziehen. Dann schaust du, staunst, genießt, wirst du wieder Mensch. In diffuses Weiß getaucht die Tundra, ein mare magnum aus sanften Hügeln und endlosen Ebenen. Alles weit, wüstenhaft, unbegrenzt. Bis zu 50 km reicht der Blick. Welch epischer Wintertraum! Die terra magica hier atmet eine Gelassenheit, wie sie nur hier zu finden ist, eine betörende Stille, die nur unterbrochen wird vom Knirschen des Schnees unter den Pfoten der Hunde. Gedanken, Bilder, Geräusche, alles vermengt sich wie die Konturen der Hügel mit der dunstgrauen Patina des Himmels. Natur, Mensch und Tier verwachsen zu einer idealen Symbiose: Die Landschaft gibt den Weg vor, der Hund geht, der Mensch genießt ihn. Eine Rentierherde kreuzt unsere Route. Wir müssen sie weit umfahren, damit die Hunde nicht Reißaus nehmen. Das Träumen hat ein Ende, als die ebenmäßige Tundra in die schartigen Bergrücken der „Skandera“, der kältesten Gebirgskette der Welt, abbricht.

Boxenstopp

Nach drei Stunden endlich Pause. Boxenstopp. Auftanken. Alles vorbereitet für die Hunde, die du selbst zu füttern und zu tränken hast gemäß dem absolut unumstößlichen und wichtigsten Gesetz eines Hundeschlittenrennens: Zuerst der Alpha-Dog, dann der Lead, dann die anderen Vierbeiner, dann lange nichts … dann du. Wer dieses Gesetz bricht und zuerst sich selbst verköstigt, macht sich Hund und Musher zum Feind. Klar – die Hauptarbeit bei einem Schlittenrennen verrichten nun mal die Hunde. Britney Spears will nichts essen. Christina kniet nieder bei ihr, streichelt sie, steckt ihr ein Stück Wurst ins Maul. Dann geht sie weiter, lobt jeden einzelnen Hund, krault ihm das Fell, kontrolliert seine Pfoten, um sie mit Patschen zu versehen, wenn sie bluten. Die Hunde sind die Kinder des Mushers. Erst wenn alle Tiere versorgt sind, darfst du dir die eigenen Wunden lecken. Dann versinkt das Lager in Lethargie. Zusammengerollt dösen Hund und Mensch vor sich hin, tanken auf, ehe nach drei Stunden der Chor der Athleten den Neustart ankündigt und die Motoren von Neuem angeworfen werden.

Game over

Die steilen Abfahrten und scharf geschnittenen Kurven werden vielen zum Verhängnis. Anfangs verstehen wir es nicht, den schweren Schlitten in der Bahn zu halten und die Balance zu wahren, landen schnell neben dem Weg im Schnee. Erst mit der Zeit lernen wir, mit der Bremse zu manövrieren, die Leinen straff zu halten und uns in scharfen Kurven wie Kite-Surfer weit zur Seite hinauszulehnen, um ein Gegengewicht zur Fliehkraft des Gefährts zu erzeugen. Dann kommt rassiges Segel-Feeling auf! Yeah! Von Tag zu Tag lösen wir die Bremse mehr, erhöhen das Risiko und das Tempo des Slaloms zwischen den Bäumen. Was gefährlich ist. Bei einem Sturz bricht sich eine deutsche Teilnehmerin das Schienbein. Und selbst Christina, unsere Musherin, erwischt es am zweiten Tag bei einer rasanten Talfahrt: Eine scharfe Rechtskurve, ein Baum, die Hunde knapp daran vorbei, Christina samt Schlitten dagegen. Ein Aufschrei – Schlüsselbeinbruch, Krankenhaus, game over. Die Polar ist kein Spaziergang, sondern eine grenzwertige Herausforderung für Hund und Mensch. Eine einzige Fehleinschätzung und du bist draußen oder landest im Krankenhaus.

Müde. Nacht.

Nach weiteren 3 bis 4 Stunden treffen wir – meist in der Abenddämmerung – im Nachtlager ein. Uns brennen die Schenkel, frieren die Zehen, dröhnt der Kopf, wollen nur mehr absteigen und uns in den Schlafsack verkraulen. Njet. Die Hunde zuerst. Aus dem Schlitten-Geschirr nehmen und an der Nachtleine wieder anbinden, Futtersack und Wassertanks herbeischleppen, Hundesuppe zubereiten, die Athleten füttern. Erst dann sind wir dran. Stellen erschöpft unser Zelt auf, werfen den Kocher an, würgen Chili con carne oder eine Kartoffelsuppe hinab, um schließlich spätnachts todmüde in den Schlafsack zu fallen. Für Romantik oder lange Gespräche reicht die Kraft nicht mehr. Nur noch schlafen. Selbst als am letzten Tag grüne Nordlicht-Schlieren über den Nachthimmel tanzen, haben wir kaum Augen dafür.

Schlafen. Es wird kalt draußen, der Atem verwandelt sich in weißen Rauch, der morgens als dünne Eisschicht an den Zeltwänden festklebt. Es herrscht Stille. Nichts mehr zu hören. Fast nichts. Denn Punkt zwölf beginnt plötzlich ein Hund aufzuheulen, ein zweiter, ein dritter … bald stimmen alle Huskies in ein etwa dreiminütiges Jaulkonzert ein, das so schnell wieder verebbt, wie es begonnen hat. Was es denn mit dieser Mitternachtseinlage auf sich habe, frage ich David, unseren neuen Musher: „Sie verständigen sich darüber, dass sie nicht alleine sind, das tröstet sie, nimmt ihnen die Angst vor der Dunkelheit.“ Und welcher Hund das Konzert anstimme? „Der Verrückteste.“ Also wahrscheinlich Ozzy Osbourne.

Finale

Auf um 4 Uhr Früh. Manche Teams werden immer schon in den frühen Morgenstunden aufbrechen, um über die gefrorene und also griffigere Harschkruste schneller voranzukommen. Der Boden weicht tagsüber auf und verlangsamt das Tempo. Raus aus den Daunenfedern, Hunde gefüttert, Zelt zusammengepackt und losgezogen. Weil ich vergessen habe, meine nassen Schuhe in den Schlafsack zu nehmen, tauen meine Zehen zwei Tage lang nicht mehr auf. Der letzte Tag. Wir sind restlos ausgepow-ert. Sense. Wollen nicht mehr. Selbst die Hunde werden langsamer, als wir über den weiten Sautoskärvi-See und den Torne-Fluss Jukkasjärvi zusteuern. Wir haben alle Grenzen ausgereizt, die letzten Reserven aufgebraucht, wir laufen nicht über die Ziellinie, wir stolpern, hecheln, retten uns gerade noch darüber. Wer das Rennen gewonnen hat? Offiziell die Belgier, im Prinzip aber jeder, der diesen Härtetest überstanden hat.


Info:
Die Fjällräven POLAR findet stets Anfang April statt. Bewerbung, Anmeldung & Details via www.fjallraven.se/polar
Bilder:
Thomas Rambauske, Hakan Wike, Per Engmann