Am letzten Abend unserer Reise durch den Iran bat uns Imad, unser Bergführer, um Folgendes: "Macht euren Freunden zu Hause bitte klar, dass durch die Medien ein vollkommen falsches Bild vom wahren Iran transportiert wird. Vermittelt ihnen bitte das wahre Gesicht Persiens."
Was ich hiermit tue. Er hat recht: Wer den Iran lediglich von der politischen Berichterstattung her kennt, sieht eigentlich nur Bruchstücke, die Land und Leute bedrohlich erscheinen lassen. In Wirklichkeit ist das heutige Persien ganz anders. Kaum anderswo greifen die Spuren historischer Größe, architektonische Kostbarkeiten, landschaftliche Schönheit, vielfältige Traditionen und warmherzige Gastfreundschaft so nahtlos ineinander wie in Persien, dem Land aus "Tausendundeiner Nacht". Mehr noch: Wer die zwei höchsten Berge des Iran, den idyllischen und einsamen Alam Kuh und den dampfenden Vulkan Demawend, besteigt, wer die Millionenstadt Teheran, die königliche Pracht von Persepolis, den weiten Sandstrand am Kaspischen Meer, wer Schiraz, die Stadt der Dichter und der Liebe, und Isfahan, die Perle der persischen Architektur, kennenlernt, erlebt mehr als Tausendundeine Nacht! Die Eindrücke und Erlebnisse reihen sich in Persien so dicht aneinander, dass man mit deren Verarbeitung kaum nachkommt. Die perfekte Organisation durch die Ruefa (vormals "Verkehrsbüro"; zum Iran-Programm von Bernhard Letz) tat sein Übriges zum Gelingen dieses Traumabenteuers.
Tag 1
Teheran
Schon auf dem Flughafen deutet sich das Wesen eines Landes an, wie ich von früheren Reisen weiß. Argwöhnisch verlassen wir am Imam Khomeini-Airport von Teheran die Maschine der Emirates, denken beunruhigt daran, was uns nun erwarten würde. Allgegenwärtige Polizei, zig Kontrollen, Fragen und Formulare? Nichts dergleichen! Schneller als auf unseren heimischen Flughäfen checken wir aus und betreten die schwüle Nacht Teherans. Eine Stunde brauchen wir, um über eine beleuchtete Autobahn ins Herz der Hauptstadt und also des Iran zu gelangen. Am Weg dorthin das Imam Khomeini Mausoleum, deren vier Minarette wie Drohfinger in den Himmel ragen und uns mahnend zuzurufen scheinen: Vorsicht! Hier gelten andere Gesetze als bei dir zu Hause! Halte dich an sie!
Kurz vor Einsetzen der Morgendämmerung beziehen wir ein einfaches Hotel, legen uns für ein paar Stunden hin.
Tag 2
Teheran Oder wie man als Fußgänger überlebt ...
Auf Teherans Straßen heißt es als Fußgänger: Schweinsgalopp!
Im Basar entdecken wir, dass es alles zu kaufen gibt und sich die jungen Mädchen nicht ganz an die Kleidervorschriften halten ...
Parfums, Plakate, elektrische Geräte – fast wie in Mitteleuropa.
Die Moscheen werden gehegt und gepflegt.
In jenen Presseraum, wo einst Ajatollah Khomeini vor "Tausenden" Anhängern seine Reden hielt, verirren sich nur mehr wenige ...
Prachtvolles Ambiente und Handwerk an und in den Moscheen ...
Fast ein wenig kitischig: Die Spiegelmosaike einer Moschee.
Leckerbissen in den Geschäften von Darband.
Feigen, Datteln ... alles was der Magen begehrt.
Blick über die Hausberge von Teheran
Die Spuren der Revolution sind allerorts zu sehen ...
Unsere Truppe aus Österreich und Bayern
Mit der Dämmerung schwillt auch der Verkehrslärm vor unserem Hotel an. Bald dröhnt, hupt und knattert es, dass an Schlaf nicht mehr zu denken ist. Teheran, der 10-Millionen-Moloch, ist zum Leben erwacht. Was uns allerdings gleich auffällt – keine Muezzin-Rufe! Dafür aber englische Übersetzungen aller Verkehrsschilder, moderne Autos, Motorräder, Busse. "Den Muezzin würde niemand hören im Lärm der Stadt", erklärt uns Malik, unser deutschsprachiger Stadt-Guide, "da müsste alle paar Kilometer eine Moschee stehen. Und die Übersetzungen rühren davon her, dass Teheran schon längst eine internationale Stadt geworden ist, schließlich ist sie auch für Türken, Araber, Turkmenen und andere Nachbarn ein wichtiger Handelsknotenpunkt."
Im Schnelldurchlauf wollen wir die wichtigsten Sehenswürdigkeiten der Stadt erkunden. Eine davon ist der Verkehr selbst. Zwar scheinen alle Straßen permanent verstopft, aber der Verkehr fließt und man kommt relativ schnell von A nach B! Weil es zum einen keine Ampeln und Verkehrschilder gibt und zum andern sich niemand daran hält. Undenkbar in unseren überregulierten Städten, in denen vor lauter Regelungen alles stillsteht. Hier wird zwar kriminellst gefahren und geschnitten, gedrängelt (weswegen hier etwa ein Wiener Autofahrer wie ich nur eine Überlebensschance von 10 Minuten hätte), aber man kommt vorwärts.
Nicht allerdings als Fußgänger. Als solcher bist du Freiwild, auf das niemand Rücksicht nimmt, ja, auf das regelrecht Jagd gemacht wird. Also Vorsicht! Hier hat der Fußgeher auf die Autos zu achten und nicht umgekehrt, wer über die Straße will, muss laufen, was das Zeug hält, mahnt uns Malik. Der höfliche, äußerst intelligente Mittvierziger ist Bauingenieur, der nach eigenen Angaben pro Jahr etwa 10 Bau-Projekte betreut. Dennoch arbeitet er zusätzlich als Reiseführer. Auch das bezeichnend für dieses Land: Selbst für Akademiker ist das Gehalt hierzulande so gering, dass ein zweiter oder sogar dritter Job herhalten muss, um einen angemessenen Lebensstandard zu erreichen. Was im Iran, diesem scheinbar bettelarmen Land, jedoch an Luxus möglich ist, zeigt uns Malik in seiner eigenen Wohnung, in die er uns zum Essen einlädt. Rundum geschmackvoll und gemütlich eingerichtet, wähnen wir uns in einer Wohnung westlicher Prägung. Couch, Großbildfernseher mit Satellitenempfang, perfekt eingerichtete Küche, persische Teppiche, alles da, was uns normal erscheint. Sicher, ein österreichischer Architekt wird wohl mit eigenem Haus und Garten protzen, aber im Iran zählt schon eine geräumige Wohnung zum erstrebenswerten Luxus. Ein weiterer Widerspruch dieses Landes: Nach außen hin bescheiden, fast ärmlich auftretend, leistet man sich innerhalb der eigenen vier Wände einen modernen Komfort, der mit unserem vergleichbar ist. Dafür allerdings muss jeder Rial (10 "Rial" werden als "Toman", der Name der alten persischen Währung, bezeichnet) zwei Mal umgedreht werden. Und es unterstreicht die Gastfreundschaft dieses Landes, dass das wenige Geld gerne mit anderen geteilt wird. Fünf hungrige Österreicher und einen Bayern einzuladen und sie reichhaltig zu bewirten, zeugt von einer Offenherzigkeit, an der wir uns in Mitteleuropa ein Beispiel nehmen können. Im Iran ist Gastfreundschaft Prinzip, keine Last und keine lästige Pflicht wie bei uns. Bei Reis und Kebab, von seiner Frau und seiner jungen Tochter liebevoll zubereitet, gewährt uns Malik auch einen weiteren Einblick in die Denk- und Lebensweise des heutigen Iraners. Man sei enttäuscht von den Mullahs, die das Land mit eiserner Faust regieren – und jede Weiterentwicklung im Keim ersticken. Kaum jemand von den Jungen halte sich an die religiösen Vorgaben, wenige an den Ramadan, Fanatiker gäbe es sehr wenige, die meisten wollen in Ruhe leben und hätten nichts am Hut mit Religion, Revolution und Gottesstaat. Im Allgemeinen hätten es vor allem die jungen Intellektuellen schwer. Im Inland gäbe es für sie keine Zukunft, weswegen viele versuchen, im Ausland Fuß zu fassen. Was im Land zurückbleibt, ist zu schwach, um eine Änderung herbeizuführen, erklärt uns Malik in perfektem Deutsch.
Von der schmucken Wohnung des Bauingenieurs geht es geradewegs zur spartanisch anmutenden Wohnstatt des Revolutionsführers und Staatsgründers Ruhollah Mussawi Khomeinis im Norden der Stadt. Khomeini bewohnte nur ein einziges Zimmer mit kahlen Wänden, ohne Möbel, nur eine Schlafstätte auf dem Boden und ein Stoß Bücher. Nach seiner Rückkehr in den Iran verließ er nie seine Wohnung, lebte isoliert und asketisch, ernährte sich ausschließlich von Reis, Joghurt und Früchten. Nur für seine im Fernsehen übertragenden Revolutions-Reden wechselte er auf einer Brücke in eine andere Räumlichkeit. Wer in den Achziger-Jahren Khomeinis Reden mitverfolgt hat, wird sich an eine große Arena mit Tausenden frenetisch jubelnden Anhängern erinnern. In Wirklichkeit stehen wir in einem verhältnismäßig kleinen Raum (siehe Bild links), in den nicht mehr als hundertfünfzig Besucher passen. Und auch hier wieder die verfälschende Kamera-Perspektive, die die Weltöffentlichkeit glauben machen wollte, die gesamte Bevölkerung stehe mit großer Begeisterung hinter der Revolution. Mitnichten. Auf dem Weg durch Teheran fallen mir viele geschminkte Frauengesichter auf und eine durchaus als "lax" zu bezeichnende Handhabung der Kleidervorschriften. Ein Kopftuch zwar, dazu aber durchaus sexy Blusen und Jeans gehören zur Mode der jungen Mädchen.
Zurück zur Vergangenheit im Archäologischen Museum "Muze-ye Iran-e Bastan". Es gilt als das schönste Museum des Iran überhaupt und bietet zahlreiche eindrucksvolle Exponate aus unzähligen Epochen. Auch an den wundervollen Moscheen sollte nicht vorbeigegangen werden. In diese Bauwerke des Glaubens hat man zu jeder Zeit viel Kunstfertigkeit und Herzblut investiert. Eine Moschee ist gemäß der arabischen Wortwurzel ein "Ort der Niederwerfung", aber auch des muslimischen Gemeindelebens und vor allem für des Gemeinschafts- und des Freitagsgebets, weswegen wir uns auch in aller Demut an die Regeln halten, die für das Betreten dieser heiligen Orte gelten. Zum einen ist es Vorschrift, vor Betreten der Moschee die Schuhe auszuziehen. In den Vorräumen oder am Eingang der Moschee werden die Schuhe aufbewahrt – man kann sie aber auch in einer Tüte in die Moschee nehmen. In vielen Moscheen gilt zudem Fotografier-Verbot, wo man Menschen beten sieht, ist Stillschweigen zu wahren (wie ja auch in unseren Kirchen).
In einer Moschee gibt es keine Bilder, sondern lediglich Kalligraphien und Ornamente, diese aber äußerst kunstvoll, wie wir in der Imam Chomeini Moschee, eine von mehreren Hunderten in Teheran, bestaunen können. Moscheen bestehen aus einem geweihten Betsaal, an dessen zur Kaaba gerichteten Seite oft eine Gebetsnische angebracht ist. Der Boden ist mit Teppichen belegt. Eine Kanzel dient als Plattform für den Redner sowohl beim Freitagsgebet als auch anderen Anlässen. Umgeben ist eine Moschee oft von Minaretten. Wichtiger Bestandteil jeder Moschee ist ein Brunnen beziehungsweise Waschräume mit fließendem Wasser für die rituellen Waschungen. Oft besitzt eine Moschee auch eine Bibliothek. Die Moschee ist nicht nur Gebetsraum, sondern auch allgemeiner Treffpunkt der Muslime. Er wird für Heiratszeremonien ebenso genutzt wie für Vorträge, Besprechungen oder auch als Herberge für Reisende, die dort Wasser, die Gemeinschaft von Gleichgesinnten und einen Platz zum Schlafen vorfinden.
Weil uns die Füße wehtun und uns nach BERGSTEIGEN ist, geht es nun ins Grüne. Die Hauptstadt schmiegt sich nämlich an die Hänge des Elburs-Gebirges, als dessen höchster Gipfel der nur 75 km entfernte Demawend auf uns wartet. Nach Norden hin überragen die Abhänge des fast 4000 m hohen Towchal das Stadtareal. Bedingt durch die Hanglage liegt befinden sich die an die Salzwüste Dasht-e Kavir grenzenden südlichen Teile auf ca. 1.000 Meter Seehöhe, das Zentrum auf ca. 1.200 und die reichen, nördlichen Vororte sogar auf 1.700 Meter. Genau dorthin, nach Darband, einem der höchst gelegenen Punkte der Metropole, führt uns nun Malik. Am Wochenende findet hier eine kleine Völkerwanderung statt, weil die Teheraner wegen der frischen Luft ins 1.700 m hoch gelegene Darband pilgern. Das ehemalige Dorf bildet den Anfangspunkt eines beliebten Wanderweges, der durch eine liebliche Klamm hindurch zum Tochal führt. Am Weg eine Reihe von Restaurants, Boutiquen, Teehäusern und kleinen Standeln, wo hauptsächlich getrocknete Feigen, die Hauptdelikatesse hierorts, angeboten werden. Die Straße verengt sich zum Weg, der Weg zum engen Pfad, auf dem nur mehr Maultiere fähig sind, die Lasten zu höher gelegenen Gastwirtschaften zu transportieren. Auf den Inseln des herabsprudelnden Baches treffen wir immer wieder auf Pärchen und kleine Gruppen Jugendlicher, die sich hierher zurückziehen, um zu leben, wie sie leben wollen und anderswo nicht dürfen. Wasserpfeife rauchend, kuschelnd, Karten spielend frönen sie hier in diesem toten Winkel, wo sie die wachsamen Augen der Sittenwächter nicht entdecken, Vergnügungen, die bei uns zum Alltag gehören. Die Gaststätten bereiten sich auf den Ansturm nach Sonnenuntergang vor, wenn der Fastentag zu Ende geht und gegessen und getrunken werden darf, was der Magen begehrt. Wer das Pech hat, während des Ramadan hierherzukommen, wird mit manchen Problemen zu kämpfen haben: Tagsüber findet man viele Gaststätten und Geschäfte geschlossen vor (was auch zu massiven wirtschaftlichen Einbußen führt), manche Museen und Büros sind nur sporadisch geöffnet, und manches ist noch verbotener als sonst: Alkoholkonsum in der Öffentlichkeit etwa: Wird man beim Genuss alkohohlischer Getränke ertappt, drohen in "normalen" Zeiten bis zu 80 Peitschenhiebe, während des Ramadans das Doppelte. Also lieber bleiben lassen. Tatsächlich wird man nirgendwo auch nur leichtes Bier zu kaufen finden. Am Schwarzmarkt jedoch sei alles zu bekommen, eröffnet uns Malik, zu einem stattlichen Preis versteht sich. Und in den eigenen vier Wänden wird gesoffen, was das Zeug hält. Ramadan hin oder her – selbstgebrauter Whiskey gehört hier zur Alltagskultur wie das Gebet am Ende des Tages. Auch wieder einer dieser Widersprüche.
Zurück zur Klamm am nördlichen Stadtrand Teherans. Wir genießen es austreten, höherzusteigen, aber wir kommen nicht schnell voran, immer wieder hält man uns auf und fragt uns interessiert und in gutem Englisch, woher wir denn kämen, was uns hierher führe, wie es uns gefalle etc. Es scheint uns geradezu, als ob wir die Menschen hier mit unserer Anwesenheit glücklich machen. Weil wir den Mut haben, sie über alle Vorurteile und Schranken hinweg zu besuchen? Weil wir ihnen das Gefühl geben, nicht allein zu sein? Weil wir sie als Teil der Welt anerkennen? Vielleicht bestand darin der Hauptsinn unserer Reise, nämlich manchen Mut zu machen, sie auf dem Weg zum Selbstverständnis als freie Weltbürger zu bestärken.
Ganz oben, auf dem Sattel der Klamm, breiten sich vor uns die Ausläufer des Elburs-Gebirges aus. Morgen geht es tief in dessen Herz, nach Rudbarak am Fuß des Alam Kuh.