Als
es in der Früh schneit, befürchten wir, unseren Gipfelsturm
verschieben zu müssen. Wir warten ab.
An
diesem Tag zeigt sich auch das leicht Chaotische an unserer Gruppe -
alles famose Bergsteiger, aber ein wenig unorganisiert: Weil die Steirer
ein Campingzelt (!) ohne jede Sturmverspannung mitgenommen haben,
müssen sie sich von abreisenden Österreichern ein sturmsicheres
Zelt erschnorren; unser Bayer, der sich Schneeschuhe einreden ließ,
kauft sich Ski; ich selbst habe die Unterlagsmatte vergessen, Günther
gehen die Filme aus und und und. Weil wir das halbe Basislager leerkaufen,
bezeichnet man uns als "lückenhafte" Gruppe -
stark untertrieben, wie sich noch herausstellen wird!
Nach
dem Lunch verflüchtigen sich Wolken und Pessimismus. Wir nehmen
Abschied vom Basislager und starten mit schweren Rucksäcken in
Richtung L1.
Die
wahren Esel ...
Mit
dabei auch Maultiere mit ihren Treibern. Sie schaffen Material
für ein chinesisches Forschungslager hoch und sind so sehr bepackt,
dass sie Mitte des Weges zu streiken beginnen.
Den
Treibern bleibt nichts anderes übrig, als ihnen einen Teil der
Lasten abzunehmen und selbst zu tragen. Nach weiteren 400 Höhenmetern
kommt es jedoch abermals zum Streik der Esel - mit dem Ergebnis:
Fragt
sich nur: Wer sind die wahren Esel?
Etwas
benommen von der Höhe bauen wir unsere Zelte auf, kochen uns Tee
und fallen todmüde in die Schlafsäcke.
5.
Tag
Rasttag
in Lager 1
Unsere
Gruppe - eine einzige Lücke ...
Spät
vormittags erst kriechen wir aus unseren Wigwams - herrliches, wolkenloses
Wetter! Im Norden ragt der Kongur Shan hoch, vor uns breitet
sich das Pamir aus, das südlich gelegene Karakorum-Gebirge
sollen wir erst weiter oben zu Gesicht bekommen.
Mein
Benzinkocher gibt seinen Geist auf (wahrscheinlich wegen des verschmutzten
chinesischen Benzins), ansonsten herrscht Zufriedenheit und Optimismus.
Wir wollen morgen zu L2, anderntags weiter zu L3 und zum Gipfel - verrückt,
steht im Tourenbuch, wir sind verrückt ...
Der
Tag vergeht mit Kochen, Pflege und Überprüfung von Ski und
Skischuhen - meine haben eine Feststellschraube verloren, ich muss sie
mit Draht flicken.
Hubert und Günther unternehmen eine kleine Skitour. Der Salzburger
kommt nach etwa 2 Stunden wieder zurück, etwas betroffen, wie wir
an seiner Schweigsamkeit bemerken. Günther, der Sachse, bleibt verschollen,
taucht auch nach einer weiteren Stunde nicht auf ... Wir fragen Hubert,
was denn los sei mit Günther: "Nichts. Er kann nur nicht Ski
fahren!", meint der lakonisch. In dem Moment sehen wir Günther
mit den Skiern in der Hand den Hang herunterstapfen: "Scheiß
Schnee ...", murmelt er betrübt und wird sich noch am selben
Tag Schneeschuhe besorgen. Nun ja - wenn da noch einer meint, wir seien
"lückenhaft", irrt er sich gewaltig! Wir sind nämlich
eine einzige Lücke ...
6.
Tag
Lager
1 (5400m) - Lager 2 (6050m)
HM:
650m/GZ: 4 Stunden
Die
unbemerkte Frechheit ...
Wir
sind, wo wir eigentlich um diese Zeit gar nicht sein dürften -
in Lager 2, verzeichne ich im Tourenbuch.
Während
die Steirer wegen Magenproblemen wieder ins Base absteigen, lassen sich
Hubert, Philip, Günther und ich vom schönen Wetter und unserer
einwandfreien körperlichen Verfassung dazu verleiten, unsere Siebensachen
zu packen und loszumarschieren. Günther mit Schneeschuhen, wir
anderen per Ski.
Die
Etappe zum Lager 2 gehört sicher zu den eindrucksvollsten und spannendsten:
der Gletscherbruch mit seinen bizarren Seracs, Höhlen, klaffenden
Spalten und durchhängenden Schneebrücken. Alles nicht so schlimm,
wie es sich hier anhört, wir haben sogar Seil, Pickel und Steigeisen
im Base gelassen, nachdem wir uns ausreichend über den Zustand
des Bruchs informiert hatten. Nur die Harscheisen müssen
wir montieren.
Aber
langsam - zum Mitschreiben: zunächst über einen sanft ansteigenden
Hang hoch zu einer Kuppe, von dort leicht bergab in eine Art Eiskanal.
An einer Eishöhle vorbei, wieder hoch, unter gewaltigen
Seracs hindurch, wir können uns kaum satt sehen und -fotografieren.
Die Spalten sind vom Schneefall der letzten Wochen so fest verschlossen,
dass keinerlei Gefahr besteht. An jener einzigen Stelle, wo wir über
eine klaffende Spalte müssen, finden wir ein Fixseil vor. Dann
in weiten Bögen aus einem Kessel, von dort über einen Schneehang
mit fast 35° Steigung, schließlich flacher zu Lager 2 (6050m).
Da
die drei tschechischen "Hänse" noch verrückter sind
als wir und bereits einen Tag früher L2 eingerichtet haben, miete
ich mich in ihr Zelt ein - so spare ich Zeit und Kraft für die
Kocherei.
Das
sind wir also, wo wir so schnell eigentlich nicht sein dürften
- auf 6050m Höhe - ohne gründliche Akklimatisation, ohne den
Organismus auf die dünnluftigen Verhältnisse eingestimmt zu
haben. Der registriert aber noch immer nichts von der ungewohnten Umgebung
- sehr lückenhaft! Mir geht es ausgezeichnet, schnell erhole ich
mich von der Anstrengung des Aufstiegs. Auch der Berg bemerkt nichts
vom Frevel unseres kaltschnäuzigen Vorpreschens, bleibt gut gelaunt,
döst ahnungslos vor sich hin - also ruhig bleiben, flüstern,
ja kein lautes Wort! Morgen schleichen wir uns auf leisen Sohlen weiter
hoch ...
7.
Tag
Lager
2 (6050m) - Lager 3 (6800m)
HM:
750m/GZ: 5 Stunden
Unsere
Gruppe - eine einzige gewaltige Gletscherspalte ...
Wir
fühlen uns den Umständen entsprechend gut, packen zusammen
und marschieren bei gutem Wetter los. Dabei begehen wir den einzigen,
wirklich kapitalen Fehler dieser Tour: Um Gewicht zu sparen, nehmen
wir nur 2 Kocher mit - die Folgen dieses Fehlers werden wir in
den nächsten Tagen zu spüren bekommen...
Über
einige steilere und flachere Hänge stapfen wir hoch, die Gletscherspalten
liegen außerhalb unserer Route zur linken und rechten Seite. Bei
Punkt 6800m finden wir nur wenige Zelte vor. Dabei auch ein verlassenes,
fast zugeschneites - jenes des vermissten Chinesen? Philip und ich mieten
uns darin ein, sodass wir den anderen beim Aufbau ihres Wigwams helfen
können. Die Stimmung ist gedrückt, jeder liegt erschöpft
danieder, die Köpfe brummen, langsam merken unsere Körper,
wo er ist und wie er auf die veränderten Umstände zu reagieren
hat.
Allein
ich bleibe auf, weil Tee gekocht werden muss, will Philips Kocher
anwerfen - vergeblich. Das lückenhafte Ding hat seinen Geist aufgegeben.
So bleibt also nur mehr ein einziger (!) Kocher für vier Personen
- eigentlich ein Anlass aufzugeben und die Tour sofort abzubrechen.
Aber
nicht
mit mir! Bis zum Anbruch der Dunkelheit verbringe ich die Zeit damit,
etwa 5 Liter Tee zu kochen (es dauert fast eine Stunde, bis man in dieser
Höhe Schnee zu einem Liter Wasser geschmolzen hat), genug für
die Nacht, viel zu wenig für den morgigen Tag.
Die
Nacht vergeht ruhelos - Platznot, dünne Luft und die Erwartung
des kommenden Gipfeltages lassen keinen Schlaf aufkommen.